So oder so, Grobschnitt waren musikalisch die wohl interessanteste deutsche Progressive Rock-Band der 1970er, die es auf Tour fast durchweg eher in die Kleinstädte als in die trendigen Schickeria-Zentren zog. Mit exzessiven Drei-und-mehr-Stunden-Gigs und ihrem aus heutiger Sicht recht eigenwilligen Humor (eher die Klimbim-Familie als Monty Python), der sich in zwischen den Songs aufgeführten Sketchen (!) und nicht selten auch in den Texten wiederspiegelte, erspielte sich die Band eine treue Fangemeinde, die bis heute unbeirrt hinter der ursprünglich vor 38 Jahren aufgelösten Band steht.
Als sich 2007 diverse Ex-Grobschnittler um Gründungsmitglied und Sänger Willi Wildschwein mit einer Handvoll neuer Musiker zusammentaten und - in semiprofessionellem Rahmen! - Bandnamen und Repertoire wiederbelebten, war die Reaktion entsprechend begeistert. Im deutschen Prog-Fachmagazin "eclipsed" wurden Grobschnitt zu Band und Liveshow des Jahres 2010 gewählt und das aus der Tour resultierende Livealbum auf Platz 6 des Jahrespolls. Nach einer Reihe orchestral unterstützter Gigs wurde das Projekt Grobschnitt aber 2012 wieder auf Eis gelegt, und unter der kreativen Führung der nicht an der Reunion beteiligten Musiker Eroc (dr) und Lupo (gtr) wird seitdem der lange Jahre vergriffene Backkatalog in aufwändig restaurierten und, von Fans teils stark kritisiert, bisweilen stattlich bepreisten Luxuseditionen verwaltet und wiederaufgelegt.
Neustes Projekt ist dabei die "Black & White"-Vinyl-Serie, die in sämtliche vierzehn Grobschnitt-Werke der Jahre 1972-1989 als edel aufgemachte Doppel-LPs - eine in schwarzem, eine in weißem Vinyl - wieder in die Läden bringt. Die Bonus-Alben enthalten dabei - mit einer Ausnahme, siehe unten - bislang auf Vinyl unveröffentlichte Bonustracks. Dazu gibt's zwei "Beipackzettel" mit Texten, Sleevenotes und Fotos sowie zeitgenössischen Presseschnipseln. Die kennt man zwar schon aus der vor zwei Jahren veröffentlichten "79:10"-Box, und auch die Bonus-LPs orientieren sich an denen von "79:10" - sind aber nicht komplett identisch. Die Alben im Einzelnen:
1972 - Grobschnitt

Den Anfang der Serie macht, wie das nun meist so ist, das Debütalbum. Schlicht "Grobschnitt" betitelt, beeindruckt die 1972er Scheibe schon einmal mit einem der coolsten Artworks der an diesbezüglichen Higlights nicht armen History des Brain-Labels. Alleine hierfür lohnt sich das Zwölf-Zoll-Format in jedem Fall - Frontseite, Backcover und vor allem das schwarz-weiße Innencover sind genauso großartig wie die Musik ausgefallen. Die klingt auf "Grobschnitt" übrigens zum einzigen Mal in der Grobschnitt-Story nach dem, was man sich landläufig so unter "Krautrock" vorstellt. Die Band verfügte damals noch über zwei Drummer, neben Eroc war auch noch Axel Harlos am Start, und insgesamt gab es hier noch einen recht starken Jazzrock-Einschlag zu erkennen. Herzstück des Albums ist natürlich die vierzehminütige 'Symphony', die sich vom launigen "Gefangenenchor" über die heavy-knackigen, klassikbeeinflussten Breaks in einen wahren Spielrausch steigert. Dabei kommt auch der Knackpunkt für das Liebhaben von Grobschnitt zum Vorschein: der eigenwillige Gesang von Willi Wildschwein, der zwischen der Exaltiertheit eines französischen Chansonnieres, der Naivität eines deutschen Protestsängers und dem brünftigen Geröhre eines britischen Bluesrockers pendelt, abgerundet von einem Akzent, der im Vergleich selbst den jungen Klaus Meine wie einen eingefleischten Southern-Rocker wirken lässt. Durchaus ein "acquired taste", wie der Brite sagt, aber eben auch ein absolutes Wiedererkennungsmerkmal, und Wildschweins Stimme macht eben auch einen großen Teil des klassischen Grobschnitt-Sounds aus.
Der zweite Longtrack der Scheibe, 'Sun Trip', gilt allgemein als Vorläufer des Bandklassikers 'Solar Music', und wenn auch tatsächlich hier bereits einige musikalische Motive auftauchen, die später in 'Solar Music' wiederverwendet wurden, tut man dem Stück doch Unrecht, wenn man es als "Solar Papa" bezeichnet. Die gesprochenen Passagen 'Am Ölberg' sind Kult, und die siebzehn Minuten bieten genug Abwechslung, um keine Sekunde Langeweile aufkommen zu lassen - speziell die 'Battlefield'-Sequenz, bei der Eroc seine prä-Sampling-Geräuschkulissen höchst effektiv einsetzt, ist ein absoluter Höhepunkt des Grobschnitt-Kataloges. Die beiden kürzeren Stücke sind dabei weniger beeindruckend, wenn auch keinesfalls Ausfälle. 'Travelling' spielt nach düsterem, 'Bolero'-artigem Start mit Santana-ähnlichen Rhythmen und 'Wonderful Music' erinnert dank des jazzigen Schlagzeugs und der prägenden Querflöte ziemlich stark an Jethro Tull.
Die Bonus-LP enthält die beiden von der "79:10"-Box bekannten Stücke 'About My Town' (Live-Demo 1971) und 'Another Symphony' (Live, Gütersloh 1977) und, als Schmankerl, den, wie 'About My Town', auf keinem Album vertretenen Song 'The Machine', ebenfalls als in der THG-Aula in Hagen aufgenommenes Live-Demo. Der Sound ist bei allen drei Songs erstaunlich gut, auch wenn 'Another Symphony' mit 25 Minuten Spielzeit eigentlich weit über der empfohlenen Länge einer LP-Seite liegt. Chapeu! Musikalisch betonen auch die Extratracks die jazzrockige Seite der Band und passen somit perfekt zum Studiomaterial.
Benotung: 2
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