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Stay In The Dark

Mitte Mai letzten Jahres bestaunten wir an dieser Stelle das Debütalbum eines wunderlichen Klavierkünstlers, namentlich Lambert, der durch eigenwillige „Reworks“ der Stücke von Kollegen und diverse skurrile Videos von sich Reden machte, in welchen er seine Finger auf allerlei Naturmaterialien tänzeln ließ. Ebenjener Lambert steht jetzt mit einer ganzen Menge Nachschub auf der Matte, und auch wenn ihm seine Maske nach wie vor fest im Gesicht haftet, war doch zumindest im Ansatz absehbar, um welche Art von Klängen es sich auf diesem nächsten Album drehen würde: Stille, filzgedämpfte und haltepedalverwässerte, überwiegend impressionistische Klavierminiaturen mit viel Hingabe und wenig Schnickschnack.

Dieser Philosophie ist Lambert auch weiterhin nachgegangen, was Titel wie ‚Noise‘ (alles andere als das) und ‚The Sick System‘ (kein Punk) trotz gegenläufiger Titelgebung ausdrücklich miteinschließt. Beschwingte Läufe, träumerisches Abschweifen, mysteriöse Harmoniekehren, perlende Polyphonie – all das macht Lamberts Repertoire aus. ‚Stay In The Dark‘ verleiht ihm den wichtigen Schuss neuer Vorwitzigkeit. Auch die Klaviermechanik ist wieder deutlich vernehmbar, hin und wieder ein Atemzug, ein Klappern, ein Artefakt des Organischen gegen das Vergessen: Da sitzt ein Mensch, kein Kafka-Käfer.

Neu jedoch sind die flüsterleisen Untermalungen durch Trompeten und Streicher, über weite Strecken gar nicht präsent, zeitweise nur mehr surreales Flirren, dann und wann ein kurzes, lebhaftes Aufglimmen. Und neu waren die Arbeitsbedingungen: ‚Stay In The Dark‘ ist ein wortwörtliches Nachtschattengewächs, und das aus einem völlig pragmatischen, uneitlen Grund: Lambert fand schlichtweg nie die Zeit, vor Mitternacht an eigener Musik zu arbeiten. Zu sehr beanspruchte ihn die Verwicklung in Filmsoundtracks, Supportshows, etwa mit José González oder Die Höchste Eisenbahn, eingangs erwähnte Piano-Reworks (diesmal unter anderem Deichkind, Moderat und BOY), nicht zuletzt aber auch völlig unspektakuläre Aktivitäten, denen man sich nicht erziehen kann, wenn man ungeschoren durch den Alltag kommen will. Spülen, Staubsaugen, Einkaufen. Sowas eben.

Doch der Maskenmann machte aus der Not eine Tugend und entwickelte die Stücke für sein zweites Album maximal fokussiert im Dunkeln – ein fingerfertoger Spaziergang im Sitzen, im Unterbewusstsein wühlend, sich von Motiv zu Motiv tastend, mit nicht viel mehr als dem Rest an Straßen-Lichtsmog, der von draußen durch die Vorhänge drang. Wer Lambert die Ehre erweist, diese Musik zur Tageszeit ihrer Geburtsstunde abzuspielen, tut sich auch selbst einen Gefallen: Zu später Abend- und früher Morgenstund wachsen ‚Stay In The Dark’s scheinbar unbedarfte Tastentröpfeleien – gleich den Schatten streunender Katzen im schummrigen Licht der Straßenlaternen – in Rollen ungeahnter Tragweite hinein.

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