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Solo

Am 29. März ist Piano Day. So jedenfalls hat es Nils Frahm entschieden. Mit knapp zweiwöchigem Vorlauf stimmte der Progressiv-Pianist auf den hausgemachten Feiertag ein und rief zu wechselseitiger Bescherung auf. Fans, Follower und Kollegen leisteten Folge und verbreiteten zu Ehren des Klaviers Bilder und Videoaufnahmen im Netz – den allgegenwärtigen „Nils Frahm has lost his mind“-Warnhinweisen zum Trotz. Das schönste Geschenk kam indes vom Verrücktgewordenen selbst, der an diesem erinnerungswürdigen letzten Sonntag ein neues Album aus der Taufe hob und als Gratis-Download ins Netz stellte.

Komponiert und eingespielt wurde ‚Solo‘ zeitgleich auf dem mit 3,70 Metern derzeit noch größten Klavier der Welt, dem ‚Klavins M370‘. In absehbarer Zeit soll der Rekordhalter vom 80 Zentimeter höheren M450 abgelöst, die Kosten für die Umsetzung des Vorhabens sowohl durch Spenden als auch den Erlös der physischen beziehungsweise iTunes-Ausgaben gedeckt werden. Wer Frahm klettern sehen will, beteilige sich. Wer ihn spielen hören will – nur zu: Auf ‚Solo‘ entwickelt er aus losen Akkordrohbauten, verhuschten Fingerübungen und zögerlichen Melodiesuchläufen zunehmend verschachtelte, verzagt-melancholische Etüden, die sich in ‚Walls‘ zum landschaftlichen Akkord-Nagelbrett verdichten und mit ‚Immerse!‘ eine Aufforderung aussprechen, der man während seiner knapp elf rätselhaft verschachtelten Minuten nur zu gerne nachkommt. ‚Four Hands‘ schließlich liefert die Antithese zum Albumtitel und lässt auch das letzte Krüstchen Stasis der ersten Albumhälfte abperlen.

Elektronisches spart Frahm auf ‚Solo‘ aus, die von der Artefaktesammlung ‚Spaces‘ gewohnte Exzentrik (Stichwort Klobürsten) gleichermaßen – schließlich gehört der Tag ja dem Klavier. Seinen Saiten. Seinem Holz. Seinem Korpus und dem Hohlraum darin. Und das so ganz und gar, dass es Frevel wäre, ein fremdes Instrument auch nur in die Hand zu nehmen. Davon jedenfalls hatte Frahm eindringlich abgeraten. Heimlicher Star der Aufnahme ist also nicht ganz von ungefähr – und deutlich vor der Fingerfertigkeit – die Mechanik: ‚Solo‘ lässt hören, wie die Hämmerchen schwarmweise schwingen, der Filz kuschlig dämpft und die Fingerkuppen auf der Tastatur einschlagen. Dass man keine Atemzüge vernimmt, ist gerade einmal alles. Könnte sich aber ändern, wenn in spätestens zwei Jahren auf der Kanzel des Webstuhls der Träume, genannt M450, die Luft dünn wird. An dieser Stelle sei angemerkt: Wenn irgendwer das Teil braucht, dann der Frahm. Und wer bitteschön würde ihn nicht auch (und gerade!) völlig verlorenen Verstandes improvisieren hören wollen?

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