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Slowdive

Wer anno 1993 Teenager und verzweifelt genug war, sich von Slowdives Kult-Album ‚Souvlaki‘ die Schwermut in Ohren und Herz brennen zu lassen, wird dieses seelisch-musikalische Erlebnis bis heute kaum vergessen haben. Und das Gefühl des Verlassenwerdens erst, als sich die Band zwei Jahre später und mit einer Diskografie aus nur drei Alben auflöste. Wen die bittersüße Melancholie jener Tage anno 2017 immer noch nicht in Ruhe lassen will, dem machen Slowdive mit ihrem selbstbetitelten Album das schönste Comebackgeschenk des Jahres.

Nicht völlig überraschend freilich, spielt der Fünfer aus Reading/UK bereits seit 2014 wieder Konzerte in seiner Kernbersetzung und kündigte mit seiner Reunion neue Aufnahmen an. Deren Klasse und Aktualität vermögen nun auch hartnäckige Skeptiker in Staunen zu versetzen. Selbstbewusst lassen Slowdive für die acht neuen Stücke schlicht ihrem Bandnamen stehen – was all Jenen aus Musik-Business und -Presse, die die Band Mitte der Neunziger kaltschnäuzig fallengelassen haben, vor Augen führen dürfte, was uns Allen in den 22 Jahren ihrer Veröffentlichungsabstinenz entgangen sein dürfte.

Für die Kids des 21. Jahrhunderts wiederum kann diese Shoegaze-Perle ebenso die wichtigste Entdeckung ihres jungen Lebens sein, wie es ‚Souvlaki‘ für ihre Elterngeneration war. Ja, es ist Zeit, wieder auf seine Schuhe und nicht das Smartphonedisplay zu starren, sich in seine eigenen Gedanken und nicht die Facebook-Timelines von imaginären Freunden zu versenken. Raum genug geben die neuen Songs dafür allemal, sowohl in ihrer Länge, die durchschnittlich auf fast sechs Minuten pro Track kommt, als auch in den dichten Soundwänden, die die Band in dieser Zeit ein ums andere Mal entstehen lässt. Selbstredend sind es die beiden eingängsten Songs ‚Star Roving‘ und ‚Sugar For The Pill‘, die dem Album als Singles vorausgeschickt wurden. Zum Glück ist das aber noch nicht alles, was ‚Slowdive‚ an einnnehmenden Melodien zu bieten hat. Nein, da ist auch noch ‚No Longer Making Time‘, dieser absolute Übersong, in dessen Soundwolke man sich willig verliert und nie mehr den Weg nach draußen finden will.

Slowdive vertrauen auf ihrem neuen Werk wieder mehr auf die Kraft der Gitarren und weniger auf Elektrowerkzeuge, die zuletzt den Sound von ‚Pygmalion‘ geprägt hatten. Damit macht die Band nichts wesentlich anders als früher. Wozu, können kritische bis zynische Zeitgenossen fragen, brauchen wir also heute wieder Platten von ihnen? Die Antwort ist einfach: Um sich auf das grundlegend Schöne zu besinnen, das das Leben zu bieten hat. Zwischen Hate Speeches, Shitstorms, Fake News, Aggro-Politik und oberflächlichem Massenkonsum tut sich mit einem Album wie diesem ein Fleckchen Hoffnung auf, eine wärmende Oase. Ein Zufluchtsort, der umso wichtiger wird, je kälter sich unser Umfeld gibt. Slowdive zielen auf das ab, was den Menschen im Innersten zusammenhält. Es darf hemmungslos gefühlt, gelittem, geheult werden. Und geträumt, viel geträumt.

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