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Saltatio Mortis – Gute Musik!


Zum sechsten Mal treten Saltatio Mortis nun schon auf dem Feuertal-Festival auf, das dieses Jahr seinen zwölften Geburtstag feiert. Damit waren die Spielleute jedes zweite Jahr anwesend. Wir sind neugierig, was die Band immer wieder zur Waldbühne treibt. Lasterbalk der Lächerliche ist Texter und Schlagzeuger bei Saltatio Mortis. Er nennt Markus Grebe als treibende Kraft und Organisator hinter dem Festival, der auch schon für die Saltatio Mortis Show zum 10-jährigen Bandjubiläum verantwortlich war. „Er hat ja zusammen mit uns auch die zehn Jahre gemacht hier in Wuppertal. Wir kennen ihn schon seit dem ersten Festival, und er war immer nett und korrekt zu uns. So etwas vergessen wir einfach nicht.“

Es macht auch immer wieder Spaß auf der Waldbühne Hardt beim Feuertal-Festival, wie Lasterbalk uns verrät. Und das liegt nicht nur an der stimmungsvollen Atmosphäre des Areals mit der schroff aufragenden Felswand neben der Arena. „Die Bühne klingt gut, das haben wir heute auch wieder beim Soundcheck festgestellt. Es ist nicht so riesengroß hier, aber umso schöner, wenn’s voll ist.“ Und auch Jean der Tambour, bei Saltatio Mortis überwiegend zuständig für die Kompositionen und live am Piano, den Gitarren und Percussions zu hören, findet eine knappe Formulierung für die Qualitäten dieses Festivals: „Saugut!“

„Wir gratulieren der Band zum Erfolg des aktuellen Albums, das vor wenigen Tagen von Null auf Eins in die deutschen Verkaufscharts eingestiegen ist. Auch in Österreich und der Schweiz wurde ein guter neunter beziehungsweiser dreizehnter Einstiegsplatz erreicht. Damit ist „Zirkus Zeitgeist“ bei den Käufern hervorragend angekommen. Wir wollten wissen, ob die Jungs insgeheim schon mit diesem Erfolg gerechnet haben, nachdem die Vorgängerplatte vor zwei Jahren ebenfalls die Spitze der Charts erreichte. „Letztendlich sind die Charts immer ein Glücksspiel“, erklärt Lasterbalk. „Du musst ein bisschen Glück haben, wie hart die Konkurrenz in der Woche ist. Wir haben am Anfang gedacht, es würde nicht reichen, aber es hat gepasst, und da will man auch nicht nachfragen, sondern sagt einfach danke.“

Das neue Album kann neben eingängiger und sehr rockiger Musik vor allen Dingen auch durch die kritischen und zum Nachdenken anregenden Texte überzeugen. Jean deutet auf seinen Bandkollegen und Texter Lasterbalk. „Hat er wieder gut hingekriegt, nicht wahr?“ Das hat er in der Tat. Musikalisch ist aus der früheren reinen Mittelalter-Band inzwischen eine richtige Rockertruppe geworden. Manche Fans werfen der Band daher vor, sich zu sehr verändert zu haben, sich nur noch dem Mainstream hinzugeben und Verrat an sich selbst begangen zu haben. In ihren Texten gehen Saltatio Mortis schon selbst auf diese Anschuldigungen ein, wenn es im Song ‚Geradeaus‘ heißt: „Doch ob wir jedem Depp gefall’n / interessiert uns einfach nicht“. Wir wollen wissen, wie Lasterbalk und Jean diese Aussage sehen und was sie von solchen Kommentaren der Fans halten.

„Egal welche Platte wir bisher gemacht haben, Du kriegst diese Stimmen immer“
, meint der Schlagzeuger dazu. „Ich weiß noch, wie wir uns bei ‚Sturm aufs Paradies‘ Gedanken gemacht haben. Wie kriegt man mittelalterliche Melodiebögen, wie kriegt man die Instrumentierung hin? Wir haben uns Mühe gegeben, ein mittelalterliches Album zu machen, und die erste Review, die ich gelesen habe, war ‚jetzt ist ja nur noch Rock, wo ist eigentlich das Mittelalter‘ und ‚Der Verkauf hat begonnen‘. Die Erfahrung von mittlerweile zehn Alben lehrt: Du kannst eigentlich machen, was Du willst, Du wirst immer von irgendjemandem auf die Fresse kriegen. Und zu dem Zitat aus ‚Geradeaus‘: Das ist ein paar mal missverstanden worden. Nicht jeder, der unsere Entwicklung nicht mehr gut findet, ist automatisch ein Depp. Es gibt durchaus ein paar spannende Kommentare zum neuen Album, wo jemand sagt ‚hey, Ihr habt Euch in die und die Richtung entwickelt, das gefällt mir nicht, und deswegen höre ich Euch nicht mehr‘.“

„So etwas ist ohne jede Frage persönlicher Geschmack, da sich jede Band weiterentwickelt. Lasterbalk erklärt, dass sich natürlich auch der eigene Musikgeschmack verändert. „Das ist ja nichts Schlimmes. Schlimm wird es immer, wenn man uns dann persönlich angreift.“ Jean der Tambour wirft ein: „Und wenn man uns Dinge vorwirft, die so nicht stimmen. Wenn man uns zum Beispiel Anbiederungen vorwirft oder Kommerz oder Ausverkauf. Dass wir bewusst manche Dinge getan hätten, nur um dem Markt zu gefallen. Wenn man uns ein paar Jahre begleitet hat und weiß, was wir machen, dann ist das das absurdeste und abstruseste, was man sich nur ausdenken kann! Gerade für diese Stimmen ist dieser Song gedacht.“

Lasterbalk erklärt, dass „Zirkus Zeitgeist“ zu einem Zeitpunkt geschrieben wurde, als die Band noch nicht wusste, in welcher Label-Kombination das Album erscheinen würde. Niemand in der Band wusste beim Schreiben, mit welchem Label, welchem Promoter und in welcher Form das Album vermarktet werden würde. Das führte im Ergebnis dazu, dass keinerlei Kompromisse an ein Label oder einen Produzenten gemacht wurden. „Wir haben die Platte genau so geschrieben wurde, wie wir sie schreiben wollten und nicht im Hinblick auf eine massentaugliche Vermarktung. Das kannst Du 20.000 mal behaupten, aber dann gibt es trotzdem irgend einen Depp – und für den ist dann dieses Zitat – der sagt, dass das doch alles nicht wahr ist.“ Lasterbalk fühlt sich durch solche „Deppen“ dann auch persönlich angegriffen, denn „ich habe gar keine Lust, Lügen zu erzählen.“

Wenige Tage vor dem Feuertal-Festival bezeichneten die Kollegen einer großen süddeutschen Zeitung die Musik der Band gerade als „Nischenmusik“. Wir wollen das näher wissen und fragen nach, ob Mittelalter-Rock heutzutage noch eine musikalische Nische besetzt. Nach Jeans Meinung steckt aber grundsätzlich jede Art von Musik in einer Nische. „Wenn ich Dir in einer Ansammlung von Menschen ein Violinkonzert vorspiele, wird es vielleicht einem oder zweien gefallen. Das ist eine Nische. Jazz ist eine Nische, Rock ist eine Nische. Es kommt immer darauf an, ob man eine solche Aussage despektierlich meint. Wenn man einfach beschreibt, dass eine Szene existiert, die nicht jeder kennt, dann ist das richtig, dann ist das eine Nische. Wenn es jemand despektierlich meint nach dem Motto ‚Das ist ja NUR Nischenmusik, das ist nur Musik für wenige‘, dann muss man ganz einfach sagen: Kommt zu den Festivals, seht es Euch an, das sind nicht wenige, die da hinkommen.“

Die Mittelalter-Szene in Deutschland war nie wirklich weg und existiert schon sehr lange. Das Feuertal-Festival ist ausverkauft, und Saltatio Mortis füllen auch große Hallen mit ihren Auftritten. Wenn „Nischenmusik“ dann noch auf Platz eins in die deutschen Charts einsteigen kann, scheint diese „Nische“ dann doch ziemlich breit zu sein. „Wie siehst Du das mit der Nische?“ möchte Jean von Lasterbalk wissen, der in seiner Antwort auch auf uns Musikjournalisten eingeht: „Es ist immer so ein Ding mit der Kategorisierung. Das liegt Euch Pressemenschen vielleicht auch näher als anderen. Ihr müsst ein neues Album immer mit ein oder zwei bekannten Namen gleichsetzen und sagen ‚Das klingt aber wie…‘. Wenn ich mal kurz überschlage: Ich glaube, dieses Album wurde von Rammstein über die Hosen bis hin zu den Ärzten, zu In Extremo, zu Santiano, ja bis zu Helene Fischer verglichen. Ja was denn jetzt? Werdet Euch doch mal einig. De facto glaube ich, dass eine Kategorisierung einfach Bullshit ist. Es geht um ganz individuelle Musikstücke und Texte, die geschrieben werden, wir geben uns da viel Mühe und fighten auch untereinander. Und daraus entsteht immer etwas Einzigartiges – und um der Frage vorzugreifen: Nein, wir wissen noch nicht, wie das nächste Album klingen wird.“ Lasterbalk stellt fest, dass es dann wieder am Musikjournalismus hängen wird, auch das nächste Album zu kategorisieren. „Ich möchte nicht kategorisiert werden.“

„Für Jean gibt es nur zwei Arten von Musik: Gut gemachte und schlecht gemachte Musik. „Und dann kommt’s nur noch auf den persönlichen Geschmack an, ob mir in einem gewissen Bereich die gut gemachte Musik persönlich gefällt. Schlecht gemachte Musik gefällt mir persönlich in keinem Bereich.“ Einen Wunsch hat Jean dann auch gleich für die nächsten Rezensionen: „Es wäre schön, wenn in der Presse stehen würde: ‚Saltatio Mortis‚, dann der Albumtitel, und dann nur ‚Gute Musik!“. Unser Vorschlag an die Spielleute: ‚Saltatio Mortis – Gute Musik!‘ – der perfekte Albumtitel für Eure nächste Platte. Zumindest ist das aber eine Überschrift für diesen Artikel wert.

Hier geht es auf der zweiten Seite weiter mit einem ernsten Thema


In unserem Interview soll es aber nicht um das irgendwann einmal kommende nächste Album gehen, sondern um die aktuelle Veröffentlichung „Zirkus Zeitgeist“. Eröffnet wird die Platte mit dem zeitkritischen Kracher ‚Wo sind die Clowns?‘. „Es passiert so viel Schlechtes auf der Welt“, beschreibt Lasterbalk auf unser Nachfragen das Konzept des Songs. „Gerade vorhin habe ich eine Schlagzeile gelesen, dass dieses Jahr jeden Tag – jeden Tag! – ein Asylbewerberheim gebrannt hat. Die nächste Schlagzeile waren 71 Tote, die in einem LKW in Österreich verhungert und verdurstet sind. Dann ein sehr kluger Artikel darüber, dass die Ursache des ganzen Flüchtlingsdramas in der falschen Wirtschaftspolitik der westlichen Welt zu suchen ist. Lange Rede, kurzer Sinn: Du gehst da einmal durch und denkst: Okay, jetzt schreibt bitte mal etwas Nettes. Wir brauchen also wirklich mehr Clowns in dieser Welt.“

„Gerade in diesen Tagen kommt man aber um schlechte Nachrichten und das schon angesprochene Flüchtlingsdrama nicht herum, und auch Saltatio Mortis haben sich ja auf ihrem Album zum Thema des leider bei uns wieder marschierenden „braunen Packs“ geäußert. Ein Thema, zu dem Lasterbalk viel zu sagen hat: „Also ganz ehrlich, da kann ich mich jetzt in Rage reden. Es ist so dumm! Was ist denn da passiert, als der Herr Gabriel diese Leute als Pack bezeichnet hat? In den nächsten Demonstrationen sind sie losgezogen und haben geschrieben: ‚Wir sind das Pack‘. Was haben wir denn erreicht? Wir haben den rechten Rand ausgegrenzt. Müssen wir ihn noch weiter ausgrenzen, macht das Sinn? Die sind doch schon lange stigmatisiert. Das heißt nicht, dass ich dem ‚rechten Pack‘ das Wasser reichen oder das Wort geben will – überhaupt nicht. Die gehören tatsächlich bekämpft und verfolgt, und Leute, die Brandcocktails in irgendwelche Wohnungen werfen sind kriminell und gehören hinter Gitter. Es gibt aber eine ganze Menge Menschen, die haben wir vergessen. Und wer hat sie vergessen? Genau die Politik, die sich jetzt wichtig macht. Das sind Leute, die Ängste haben. Der Flüchtlingshass kommt aus Angst. Diese Menschen sind durch’s System gerutscht. Wofür? Dafür, dass eine Menge Menschen sehr viel reicher sind, als sie es noch vor 20 Jahren waren. Wir haben ein Problem der sozialen Ungerechtigkeit. Wir haben die Flüchtlingsströme, weil in den Ländern Krieg herrscht, den wer begonnen hat?“

Nach Lasterbalks Ansicht wird es nicht funktionieren, eine Mauer um Europa zu errichten, aber es wird auch nicht funktionieren, das „rechte Pack“ zu stigmatisieren. „Man kann sich jetzt ganz schön auf diesen Zug setzen und sagen ‚Raus mit allen Nazis‘ und ja, das ist wichtig, das muss man tun, aber es löst das Problem nicht. Es löst das Problem nicht, dass diese Leute ungebildet sind und keine Arbeit haben, dass sie aus dem System rausgefallen sind. Das hatten wir tatsächlich schon einmal, und auch da haben wir aus der Geschichte nichts gelernt.“

Saltatio Mortis sind dabei, diesbezüglich Zeichen zu setzen, so zum Beispiel in einer Zusammenarbeit mit dem Zirkus „Roncalli“ in einer gemeinsamen Aktion für Toleranz und gegen Fremdenhass. Aber: Zeichen setzen allein reicht nicht, solange die Ursachen nicht bekämpft werden. „Die Ursachen sind nicht bekämpft. Bekannt sind die Ursachen, aber sie sind einfach noch nicht auf dem politischen Radar erschienen. Und wir haben letztendlich keine Politiker die sagen: ‚Freunde, so sieht die Welt aus, und das bedeutet das für uns‘.“

Hierzu passt auch das jetzt veröffentlichte Video vom Auftritt der Band auf dem Feuertal-Festival:

Haben die Spielleute schon beim Song ‚Wachstum über alles‘ auf dem Vorgängeralbum mit der Verwendung der deutschen Nationalhymne polarisiert, so ging man diesmal noch einen Schritt weiter. Der Titel ‚Augen zu‘ ist musikalisch an das Horst-Wessel-Lied angelehnt und trifft auch inhaltlich mit den Zeilen ‚Die Augen zu / die Lider fest geschlossen / weiter so mit dummdreist festem Schritt‘ eine klare Aussage. Es ist im Prinzip eine Meta-Ebene in dem Song, wie uns Lasterbalk uns erklärt, der den Text geschrieben hat. „Wenn der Staat sagt, dass er gegen das ‚braune Pack‘ – da haben wir wieder das Zitat – vorgehen möchte, dann verbietet er eben das Kampflied. Was passiert? Das Lied ist verschwunden, aber hört deswegen das Problem auf?“

Wie wir gerade eindrucksvoll erkennen, hört das Problem damit natürlich nicht auf. Auch heute singen aufgebrachte Rechte das ehemalige Nazi-Propaganda-Lied, wenn sie durch die Straßen marschieren oder Asylbewerberheime anzünden. Genau um dieses Thema geht es in ‚Augen zu‘: Wir schauen weg. „Du steckst den Kopf in den Sand, und du gibst dich der Illusion hin, dass die Probleme nicht existieren, weil du sie nicht siehst.“

Jean, der zu diesem wichtigen Titel des neuen Albums die Musik geschrieben hat, wirft an dieser Stelle ein, dass man die Ursachen bekämpfen muss. Für ihn war klar, als er den Text von Lasterbalk vorgelegt bekam, in welche Richtung der Track musikalisch gehen würde. „Als ich die Metrik gelesen haben, da war für mich sofort klar, wie wir das angehen sollten. Wir haben es natürlich intern besprochen, ob das okay ist, wenn wir das so machen als Verballhornung des Horst-Wessel-Liedes, aber ich glaube, wenn Du Leute erreichen willst, musst Du sie manchmal vor den Kopf stoßen. Und gerade solche Dinge sind es, die die Leute dann auch wachrütteln.“

Und auch zu den aktuellen Flüchtlingsströmen passt das Lied ‚Augen zu‘. Hierzu Lasterbalk: „Es war so schön leicht, die Augen davor zu verschließen, was in der Welt passiert. Es war ja nicht bei uns. Du bist da nicht in den Urlaub hingefahren. Jetzt dreht die Welt das um. Die Leute kommen zu uns, und Du kannst die Augen nicht mehr zu machen. Wir haben ja sehr dafür gekämpft, 2015 diese Platte rauszubringen und kein Jubiläumskonzert zum 15-jährigen Bandbestehen zu machen. Und wir waren offensichtlich sehr aktuell – gerade auch mit diesem Lied.“

„Neben aller wichtigen Zeitkritik ist „Zirkus Zeitgeist“ aber auch ein musikalisch mitreißendes Album geworden, zu dem man durchaus tanzen kann und auch darf. Da stellt sich natürlich die Frage, wie wichtig es den Spielleuten war, die Aussage der Platte in eingängige Rockhymnen zu verpacken? Die beiden Musiker erklären, dass das Ergebnis und der Sound nicht wirklich bewusst so entstanden sind. „Wir haben kein Flipchart im Proberaum, wo wir aufmalen, wie die Platte klingen muss. Wir schreiben drauf los, und irgendwann ergibt sich dann meist der berühmte rote Faden. Es hat sich bei der Platte alles sehr schön gefügt, dass es beide Facetten gibt: Sowohl den Spaß als auch die Kritik.“

Die Special Edition des Albums wartet zudem mit einer Bonus-CD auf. Unter dem Motto ’15 Jahre – 15 Bands‘ haben befreundete Gruppen und Künstler eben 15 Saltatio Mortis-Songs gecovert. Von Subway To Sally über Betontod und Lord Of The Lost bis hin zu Unheilig wird eine breite Vielfalt an Stilen und Interpretationen geboten. Wir möchten natürlich wissen, wie das Projekt entstanden ist. Lasterbalk berichtet, dass die Band schon von vielen Musikerkollegen gefragt worden sei, ob diese nicht mal den einen oder anderen Song covern dürften. „Wir haben ja auch schon viel von diesen Bands gecovert. Jean zum Beispiel hat immer eine diabolische Freude daran, Lieder komplett durch den Wolf zu drehen. Und ich habe mich gefragt, wie wohl die Bands, mit denen wir viel zu tun haben, unsere Songs interpretieren würden. Ich habe das also mal vorgeschlagen, und das hat bei manchen gleich viel Begeisterung ausgelöst – bei anderen auch weniger. Wir haben uns durchgesetzt, und jetzt haben wir eine geile Scheibe.“

Jean ergänzt, dass die Bands alle völlig freie Hand hatten, was die Gestaltung der Coversongs anging. „Von uns gab es da keine Vorgaben.“ Der Gitarrist ist fasziniert von den Ergebnissen. „Subway To Sallys Song klingt ja auch wirklich wie ein Subway To Sally Song. Und was haben Mr. Hurley & Die Pulveraffen aus Prometheus gemacht? Sie haben es komplett als Seeräuber-Song gespielt.“

Lasterbalk gesteht, dass ihm auch der Song von Unheilig sehr gut gefällt. „Der Titel ‚Lebensweg‘ war ja sehr persönlich und nur für mich geschrieben. Es kam dann vom Grafen ein sehr positives Feedback, weil der Text ja offenbar für ihn genauso gut passt.“ Schließlich kommentierten begeisterte Unheilig-Fans den Song auf der Facebook-Seite des Grafen und erklärten dort, dass der Text so gut zu ihm passe – ohne zu wissen, dass dieser eigentlich eben von Lasterbalk für Saltatio Mortis geschrieben worden war.

„Lasterbalk mag auch die Version von ‚Spiel mit dem Feuer‘ von Betontod sehr gerne. „Das ist der Wahnsinn mit der Punkattitüde da drauf.“ Und Jean ergänzt: „Wir hatten ja schon ein wenig Angst so nach dem Motto ‚Was kommt da jetzt wohl?‘, aber wirklich jede einzelne Nummer ist absolut gelungen.“ Damit haben sich die Spielleute selbst und ihren Fans ein wunderbares Geburtstagsgeschenk gemacht.

Wir finden es auch immer spannend, wie unterschiedlich jede einzelne Band an den Prozess des Songwritings für ein Album heran geht. Manchmal werden erst alle Texte geschrieben, dann stehen wiederum Melodien am Anfang, oder es wird einfach gemeinsam gejammt. Wir haben also Jean und Lasterbalk gebeten, etwas mehr über die Entstehung der neuen Platte zu berichten. Die meisten Songtexte werden – bis auf wenige Ausnahmen wie z. B. bei ‚Erinnerung‘, wo Jean der Tambour die Strophen geschrieben hat – von Lasterbalk ersonnen. „Damit beginnt es ganz oft auch“, erinnert sich der Schlagzeuger. „Ich schicke Texte rum, und dann beginnen die Herren Komponisten, sich damit auseinander zu setzen.“ In acht oder neun von zehn Fällen sind die Texte damit vor der Melodie da, und die Musik wird dann passend zu den Lyrics komponiert. Ausnahmen bestätigen die Regel: „Luzi hatte zum Beispiel ‚Nachts weinen die Soldaten‘ schon komplett fertig komponiert und bekam dann den Text, und es war klar, dass der prima zu dieser Melodie passte.“

Besonders unter die Haut geht auf dem neuen Album auch der Song ‚Todesengel‘, der mit beinahe schon fröhlichem Refrain die düstere Geschichte der beiden Zwillinge Eva und Miriam Mozes erzählt, die 1944 bis 1945 als zehnjährige Kinder in Auschwitz die grausamen Experimente Josef Mengeles ertragen mussten – und überlebten. „Es war vor ungefähr zwei Jahren“, erinnert sich Lasterbalk an die Entstehung dieses Songs. „Wir waren bei Schandmaul auf einem Geburtstag, und da sagt mir der Jean im Nightliner, dass er da etwas komponiert hat und ob mir vielleicht ein Text dazu einfiele. Er stellte sich zu der Musik eine lustige Folkrock-Nummer vor. Ich habe es mir angehört und Notizen dazu gemacht. Ein halbes Jahr später war ich dann in Frankreich zum Texten. Ich ziehe mich zum Texteschreiben immer zurück, ich bin da eine Diva und brauche meine Ruhe. Ich hatte mir den jetzigen Refrain schon notiert und wusste, in welche Richtung ich damit wollte. Ich habe es dem Jean geschickt, gleich mit den Youtube-Links zu der wahren Geschichte, weil ich wusste, dass der Text erklärungsbedürftig ist.“ Jean ergänzt aus seiner Sicht: „Stell Dir vor, du komponierst eine schöne fluffige Happy-Musik und gibst sie deinem Texter, und zurück kommt ein Text über das KZ. Finde den Fehler. Aber dann haben wir daran gearbeitet, und im Nachhinein ist das Spannungsverhältnis von der beschwingten Melodie und dem inhaltsschweren Text eigentlich genau das, was den Song ausmacht.“

Lasterbalk ergänzt zu dem Song, dass die KZ-Zeit nur ein Aspekt der Geschichte ist. Es geht natürlich auch um die Liebe der beiden Schwestern zueinander und wie die stärkere die schwächere durch diese dunkle Zeit gebracht hat. Weiterhin geht es um die Vergebung viele Jahre später. Eva Mozes Kor vergab am 50. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz persönlich allen Nationalsozialisten ihre Taten. Und so heißt es am Schluss des Songs ja auch ‚Taten zählen mehr als Worte / Vergebung ist so wunderbar.‘

„Gerade in einer so großen Gruppe, wie wir es sind, muss man manchmal den eigenen Durchsetzungsdrang hinten an stellen und den Kollegen vertrauen“, erklärt Jean auf die Frage, wie er damit umgegangen ist, dass seine fröhliche und anders gedachte Melodie zu so einem düsteren Song geworden ist. „Ich habe gelernt, dass es okay ist, wenn man die eigenen kreativen Ideen einfach mal rausgibt und die Kollegen damit machen lässt.“ Der Entstehungsprozess aller Saltatio Mortis Songs ist sehr vielfältig. Ein Patentrezept für einen guten Song gibt es nicht. Dennoch haben die letzten fünfzehn Jahre gezeigt, dass die Spielleute ihr Geschäft verstehen und es immer wieder schaffen, wichtige und zeitkritische Texte mit eingängigen rockbaren Melodien zu verknüpfen. Der Charterfolg von „Zirkus Zeitgeist“ gibt Ihnen Recht. Wir bedanken uns für das spannende Gespräch und wünschen Saltatio Mortis alles Gute für die Zukunft und noch viel Spaß auf dem Festival. Und wir freuen uns auf die nächsten fünfzehn Jahre Bandgeschichte und weiterhin abwechslungsreiche, tanzbare…ja…gute Musik.

Interview und Fotos: Michael Buch

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