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Roxy Music (Deluxe Edition)

Über die musikhistorische Bedeutung des Roxy Music-Debütalbums muss man definitiv nicht mehr streiten. Was Bryan Ferry, Phil Manzanera, Andy Mackay, Paul Thompson, Graham Simpson und natürlich Brian Eno mit ihrem ersten Album ablieferten, hatte nachhaltige Wirkung auf so ziemlich jeden, der in der Folge schrägen und eklektischen Pop anpackte. Klar, auch Roxy Music kochten nur mit Wasser, der „Hunky Dory“/“The Man Who Sold The World“-Bowie, das Frühwerk von King Crimson (deren Texter Peter Sinfield das Album auch produzierte), Jacques Brel, Minimalmusik im Sinne von Glass und Reich und die elektronischen Experimente von Stockhausen kann man klar als Vorläufer werten – doch seien wir ehrlich, wer wäre ansonsten damals noch auf die Idee gekommen, all diese widersprüchlichen Elemente durcheinanderzuwürfeln, mit einem guten Schuß harten Rock und einer Begeisterung für hochkonzeptionelle Ästhetik und den modischen Stil der 1930er in einem einzigen Gesamtkunstwerk zu vermengen?

Eine ausführliche Deluxe-Ausgabe macht somit bei kaum einer Band mehr Sinn. Aufgrund der – nicht nur damals – für viele Ersthörer eine klare Überforderung darstellenden Detailfülle der Musik macht auch die Verarbeitung als Surround-Mix (natürlich angefertigt von Steven Wilson) absolut Sinn. Die findet man allerdings nur im großen Box-set – Whiskey-Soda lag zur Rezension „nur“ die reguläre 2CD-Version vor. Aber auch die weiß vollkommen zu begeistern. Nicht nur, weil das Album mit Klassikern wie ‚Ladytron‘, ‚Re-Make/Re-Model‘ oder dem epischen ‚Sea Breeze‘ auch heute noch frisch und mitreißend klingt und das Album in seiner US-Version enthalten ist – also MIT der ersten Single ‚Virginia Plain‘, die in Europa fehlte. Auch, weil das fest gebundene Digibook sich auch im Regal durchaus schick macht und mit ausgiebigen Informationen über die Entstehung der Band und des Albums, einer ganzen Reihe Fotos und Informationen zu den Bonustracks punktet. Und, ach, diese Bonustracks! Eine komplette Sammlung der für die BBC zur damaligen Zeit gemachten Livesessions in absolut makelloser Qualität! Besonders interessant ist dabei die erste, fünf Songs umfassende Session, bei der es sich um Aufnahmen VOR den Sessions zum Album handelt und bei denen Phil Manzanera noch nicht Mitglied der Band war – stattdessen bediente Ex-The Nice-Gitarrist Davey O’List (!) die sechs Saiten. Nicht nur für Fans ist es höchst interessant, die Versionen von ‚If There Is Something‘ oder ‚The BOB‘ mit ihren späteren Takes zu vergleichen: obwohl die Arrangements weitgehend identisch sind, liegen doch Welten zwischen den beiden Gitarrenstilen und somit dem Endresultat. Ebenso begeisterungswürdig ist die „BBC In Concert“-Session, die den ersten offiziell veröffentlichten Konzertmitschnitt des Debüt-Line-Ups darstellt. Speziell bei Brian Enos wüsten und bislang ungehörten Synthie-Gequietsche und –Gefiepe kann man sich die Gesichter der Zuschauer auch heute noch lebhaft vorstellen – schließlich wurden Roxy Music aufgrund ihres flamboyanten Auftretens damals generell als Glamrock-Band gehandelt und gebucht… Sweet- oder Slade-Fans dürften sich mit Sicherheit ein wenig schwergetan haben.

Also, der ganz harte Fan greift natürlich zum fetten, großformatigen Boxset – das ist allerdings mit ca. 130€ ganz schön happig bepreist. Die 2CD-Version mit den BBC-Sessions hingegen sollte jeder, der sich für intelligente und eigensinnige Rockmusik interessiert, sofort auf den Einkaufszettel schreiben, auch wenn das Album bereits in der Sammlung steht: alleine schon die Qualität der BBC-Aufnahmen lohnt die Anschaffung in jedem Fall. So muss ein Reissue aussehen.

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