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Roots, Karma, Chaos – Mein Leben mit Sepultura und Soulfly

Als Massimiliano Antonio Cavalera im Sommer 1969 als Sohn eines italienischen Diplomaten in Belo Horizonte geboren wird, ahnt niemand, was für ein außerordentlich bewegtes Leben er haben würde. Heute ist Max Cavalera einer der respektiertesten und schillerndsten Persönlichkeiten in der internationalen Heavy-Metal-Szene. In der nun auf Deutsch vorliegenden Autobiographie, dessen Titel in der im vergangenen Frühjahr erschienenen Originalversion „My Bloody Roots“ lautet, blickt der Mann mit Dreadlocks und Tarnhosen auf rund 30 Jahre Karriere als Musiker zurück. Mit der Unterstützung von Joel McIver, Autor von mehr als 25 Büchern (unter anderem der Biographien von Megadeth-Bassist David Ellefson und Bandgeschichten von Metallica, Slayer und Black Sabbath) ist auf 220 Seiten ein interessantes Buch mit vielen persönlichen Einblicken in das Leben des Sepultura-Gründers entstanden. Neben Familienmitgliedern kommen in dem Buch auch zahlreiche musikalische Weggefährten wie Dave Grohl, Mike Patton, Sharon Osbourne, Sean Lennon oder Dave Vincent zu Wort, die eigens interviewt wurden und den Blick auf eine interessante Lebensgeschichte und Persönlichkeit gelungen abrunden und ergänzen.

Das erste Kapitel zeichnet das warme Bild einer harmonischen Kindheit als Sohn eines ehemaligen Fotomodells und eines Diplomaten, der es an nichts fehlt. Der Vater stirbt an einem Herzinfarkt, als Max 10 Jahre alt ist – sein Leben ändert sich dramatisch und bildet damit die Grundlage für die explosive Wut und Rebellion, die 1984 nach dem Abbruch der Schule in der Gründung von Sepultura mündet. Der Rest ist Geschichte und in weiten Teilen der Metalwelt bekannt. Natürlich erhält der interessierte Leser weitere Einblicke und Anekdoten in den Aufstieg der ersten Metalband aus Brasilien, die international großen Erfolg feierte. Auch wenn vor allem Fans der Band eher die kleinen Anekdoten um die Produktion der ersten Alben interessieren dürften, sind die großen Meilensteine doch bekannt. So sind vor allem die persönlichen Einblicke die Cavalera gibt, sehr spannend zu lesen. Sie zeigen einen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, der vom Tod seines Vaters völlig aus der Bahn geworfen wurde und der in der Musik die perfekte Projektionsfläche für seine Wut und Verwirrung, ja letztlich neben der Familie seine Bestimmung findet. Die bildet mit der Heirat seiner Managerin Gloria, dem Tod seines Stiefsohnes und Enkels weiterhin den Ausgangspunkt für glänzendes Glück und niederschmetternde Dramen. Ein weiterer, prägender Bruch erfolgt 1996 mit dem Zerwürfnis mit Bandmitgliedern und Bruder Iggor und der folgenden Trennung von Sepultura, die schließlich in die Gründung von Soulfly mündet. Zu diesem Zeitpunkt, kurz nach der Veröffentlichung des Kult-Meilensteins „Roots“, dessen Entstehung im brasilianischen Dschungel ebenfalls lebendig nachgezeichnet wird, befinden sich Sepultura auf dem Höhepunkt ihres Erfolges. Einmal mehr ein tiefer Fall für Cavalera, der sich in den Alkohol flüchtet, der ihn schon seit seiner Jugend begleitet und auch noch weiter begleiten wird. Egal was ihn aus der Bahn zu werfen droht, immer wieder führt sein Weg zurück zur Musik, seinem Rettungsanker und Lebensinhalt. Es folgt eine neue Erfolgsgeschichte mit Soulfly, Kollaborationen mit Musikern rund um die Welt und schließlich die Aussöhnung mit seinem Bruder Iggor durch die neue Band Cavalera Conspiracy.

„Roots, Karma, Chaos“ ist eine lesenswerte Lektüre für jeden Metalhead geworden. Besonders spannend ist das Buch immer dann, wenn nicht nur einfach mehr oder weniger bereits bekannte Geschichten nacherzählt werden, die zugegeben teils recht amüsant sind. So erfährt man von Cavaleras jahrelangem Zerwürfnis mit Lemmy von Motörhead, jugendlichen Spritztouren auf Friedhöfe oder der abenteuerlichen Flucht vor unheimlichen asiatiaschen Fan-Heerscharen auf dem Höhepunkt des Erfolges. Cavalera gibt auch immer wieder sehr persönliche Einblicke – dem jahrelangen Ringen mit dem Tod von Vater und Stiefsohn, der Bruch mit Bruder Igor und den Kampf mit Alkohol und Schmerzmitteln, die der Musiker hier erstmals inklusive einer Entziehungskur erstmals öffentlich macht. Sie stellen Cavalera als einen sensiblen Menschen mit starken Wertvorstellungen dar, der trotz oder gerade wegen aller persönlichen und beruflichen Rückschläge eine bodenständige, hart arbeitende Person geblieben ist, der Musik und Familie einfach alles bedeutet. Vielleicht ist es gerade das, was an diesem charismatischen Mann neben seiner Musik am meisten fasziniert. Er ist keine Kunstfigur, kein Rockstar, sondern ein zutiefst authentisch gebliebener Metalhead wie du und ich, der trotz seiner Erfolge nicht vor den Härten des Lebens gefeit ist. Und der sich genau aus diesem Grund in eine Reihe mit Legenden wie Lemmy und Ozzy einreiht. Nicht, weil er sich selber dort stehen sieht. Sondern weil sein ehrlicher Lebensstil, in dessen Zentrum unumstößlich und allen Widrigkeiten zum trotz die Musik steht, ihn in diese Riege einordnet. Mit Mitte Vierzig hat Max Cavalera seine Biographie geschrieben. Doch die Geschichte seiner Musik ist noch lange nicht zu Ende geschrieben. Ein Glück. Es steht uns noch viel ehrliche, harte Rockmusik des Brasilianers bevor.

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