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Laune der Natur

Die Toten Hosen sind auch nach 35 Jahren Schaffenszeit nicht müde, noch neue Platten unters Volk zu werfen. Dabei waren besonders die letzten Jahre gespickt mit Höhen und Tiefen. Der Song ‚Tage wie diese‘, war der erfolgreichste der Bandgeschichte und bescherte ihnen auf ihrem Weg Edelmetall wie andernorts Gullideckel – genug um nicht nur eine Straße damit zu pflastern. Doch auch am anderen Ende der Gefühlsachse kam es zu weniger freudigen Erlebnissen. So verstarb nur eineinhalb Jahre nach Freund und Manager Jochen Hülder auch Wölli Rohde, der ehemalige Schlagzeuger der Band. Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Band zwei Songs ihren ehemaligen Weggefährten widmet.

Der Opener ‚Urknall‘ startet brachial, prügelnd und mit einer überraschenden Speedpackung. Giftiger Gesang gepaart mit großer Spielwut und befreit von schubladendenkendem Erwartungsdruck oder dem eigenen Jubiläumsanspruch. Der Ausreißer ‚Wannsee‘ führt die Toten Hosen auf einen Ausflug in die HipHop-Welt, natürlich unter der Reiseleitung von Buddy Marteria. Und während sie da so umherschippern auf dem eher unbekannten Terrain, entwickelt sich der Song von der anfänglich abneigenden Irritation hin zu einer sommerlich leichten Popnummer, die sich ungefähr so häufig wieder zurück in den Gehörgang schleicht, wie die Zunge an dem Flutschfinger kleben bleibt. ‚Alles passiert‘ ist wiederum ein sich selbst um 180 Grad drehender Song, der zu Beginn eine ganz zarte, leichte Melancholie verströmt, kaum wahrnehmbar, sich aber mehr und mehr aufbaut, bis Campino am Anschlag vom letzten Kuss schreit und der Song am Ende musikalisch vor Hoffnung überschäumt. Mit die ‚Schöne und das Biest‘ haben die Toten Hosen ihre Idee von Tarantino in ein Lied geschubst und trotz knisterndem Lagerfeuer, kreisenden Aasgeiern und Colts im Anschlag lässt sich das sehr gut mit dem Hosen-Sound vereinbaren. Und wenn nicht? Fuck You! Bei der Rockhymne, die ja fast schon obligatorisch ist, stimmt diesmal einfach alles: sowohl Energie, als auch Melodie, und das Ganze schickt sich jetzt schon an, ein echter Klassiker zu werden (‚Wie viele Jahre (Hasta la Muerte)‘). Die Platte endet mit einer Hommage an Wölli Rohde, dessen Song ‚Kein Grund zur Traurigkeit‘ neu eingespielt und mit seiner Gesangsspur gekoppelt wurde.

Letztlich haben die Toten Hosen mit ‚Laune der Natur‘ ein recht selbstreferentielles Album abgeliefert. Doch allein schon an Campinos Gesang offenbart sich die immense Bandbreite der Platte: Da wird geschrien, getobt, gespuckt und gleichzeitig leise Geschichten im Hintergrund erzählt (‚Eine Handvoll Erde‘). Die Regler stehen auf Vollgas, manchmal sogar besorgniserregend am Anschlag, doch das hat der Platte gut getan und ist die Portion frischer Wind, die man braucht, um Ballast aus dem Kopf zu pusten. Ein paar weniger ‚Oooh-Ooohs‘ hätten hier und da zwar nicht geschadet, aber was soll man denn auch sonst mit der ganzen Verwandtschaft anfangen?

‚Laune der Natur‘ gibt es auch als Doppelalbum, das mit ‚Learning English Lesson 2‘ die Fortsetzung der ‚Learning English Lesson 1‘ von 1991 enthält. Darauf zu finden sind 21 Songs, die zumeist in London mit vielen Größen der internationalen Punkszene eingespielt wurden. Mit dabei sind unter anderem Jello Biafra von den Dead Kennedys, Colin McFaull von Cock Sparrer und Jake Burns von Stiff Little Fingers, aber auch Bob Geldof von den Boomtown Rats und die Pasty Faces. Die Toten Hosen haben ihren Bildungsauftrag erkannt und bespaßen so Fans und sich selbst mit der höchst unterhaltsamen Reise in die Vergangenheit.

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