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Kannon

Die Erwartungen seien hoch gewesen, erzählt man sich. Was einigermaßen witzig ist, wenn man auch nur ein paar Sekunden aus Sunn O)))s Vorwerk parat hat. Erwartungen! Was sind das für Menschen, die Erwartungen formulieren an Musiker, denen „formulieren“ ein Fremdwort ist? Die sich anhand nicht viel mehr Parametern messen lassen als an Lautstärke und Langsamkeit? Und was sind das für Musiker, die trotzdem zu glauben scheinen, auf diese Tour wie auch immer gearteten Erwartungen begegnen zu können, dürfen, müssen? Nun, gehört womöglich zum guten Drone, das alles. Schwer zu verstehen. Aber: Mein Gott, es sind Sunn O)))! Kennt man. Verehrt man. Giganten – so man sie denn laut genug zu „Wort“ kommen lässt.

Letztes Jahr lieferten Stephen O’Malley und Greg Anderson sich auf ‚Soused‘ eine „Ko“llaboration mit Scott Walker, die mangels Zugeständnissen beider Acts – Bug? Feature?? – eher an ein Geplänkel erinnerte. Davor gab es eine EP einigermaßen gepflegten Ambient-Drones in Zusammenarbeit mit Ulver. Jetzt ist es wieder an der Zeit, Exempel zu statuieren, sprich: die Angeheuerten (namentlich Attila Csihar, Oren Ambarchi, Rex Ritter, Steve Moore, … – aber was sind schon Namen. Schließlich sind wir hier bei Sunn O))).) unter schwarzen Lawinen zu begraben. ‚Kannon‘, so der Name des lange überfälligen nächsten echten Sunn-O)))-Albums, war tatsächlich an einer Stelle zu überschätzen gewesen, und zwar in seiner Länge. Der ironischerweise der buddhistischen Göttin der Gnade geweihte Tonträger (Angela LaFont Bollinge kreierte ihr eher weniger barmherzig modelliertes Abbild fürs Cover-Artwork) ist nur unbedeutend länger als eine halbe Stunde ausgefallen – drei Minuten, um genau zu sein. Aufgeteilt in drei funktional betitelte Tracks bildet es ein Triptychon ohne echte Mitte. Und statt das Feuer zu eröffnen, lässt es alle seine Kugeln kollektiv im Rohr verschmoren. Es stinkt, es qualmt und – ganz wichtig – es dröhnt. ‚Kannon 3‘ (vgl. ‚Cannon‘ vom 2007er Album ‚Dømkirke‘) will zunächst nur Mücke sein, was auch ganz gut gelingt. Dann aber wird aus ihm ein Elefant, nein, ein Mammut. Ein trötender Dickhäuter der unerbittlichen Zeitlupe. Mit dem Rotz der Jahrtausende im Rüssel und einem sich gen Unendlichkeit dehnenden Schließmuskel. Überirdisch unterirdisch. Randall Dunn, wie hältst du das nur aus? Auflösung folgt.

Sunn O))) ist nur im Kern das, was man hört – da mag Attila Csihar noch so viel Sermon dazwischenknurren. Zu einem überwiegenden Teil ist Sunn O))) das, von dem man sich erzählt. Über das man liest. Gehörschutzpflicht, dichter Nebel, Kutten, ihr wisst schon. Legendenbildung. ‚Kannon‘ ist nichts weiter als eine Versalie in einem weiteren Kapitel dieser Legende. Aber es bringt das Mark zum Vibrieren und das Zwerchfell zum Schnurren. Man läuft in seine offene Faust – und es drückt zu. Das bleibt dann auch so – von wegen Fingerspiele. Man könnte sämtliche Sunn-O)))-Tracks übereinanderlegen und eine Wand bauen, um Sonne und Himmel abzudunkeln. Eine regelrechte Schallmauer. Es wäre bedrohlich, aber immer noch wahnsinnig gut. Sofern man denn in all denn Jahren gelernt hat, das Hören nicht allein den Ohren zu überlassen. Wäre Paul Watzlawick Musikwissenschaftler gewesen, er hätte sicherlich gesagt: Man kann nicht nicht musizieren. Stephen O’Malley und Greg Anderson wären seine Kronzeugen. In ihrem Lärm mögen sie ewig und 33 Minuten leben. Und Watzlawick sich ewig winden. Amen.

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