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Wenn es neben RPWL einen nennenswerte, neuere Progressive Rock Band aus Deutschland gibt, dann sind das Sylvan aus Hamburg. 1991 als Chamäleon in Hamburg gegründet, hat das Quartett seither eine sowohl qualitativ als auch quantitativ beeindruckende Discographie auf die Beine gestellt und einen eigenständigen Stil entwickelt. Drei Jahre nach dem Doppel-Album „Sceneries“ sind die Hanseaten mit ihrem insgesamt neunten Studio-Album zurück. Und das Album mit dem wunderschönen Cover-Artwork weiß durchaus zu begeistern, wenn moderner, stimmungsvoller Artrock die Kategorie der Wahl ist. Als Konzeptalbum thematisiert es – der Titel legt es nahe – die Suche nach Geborgenheit und Heimat einer fiktiven Protagonistin. Diese reist in Gedanken zurück in ihre Kindheit und beginnt so die eigene Gegenwart neu zu bewerten. Angestachelt auf der Suche nach einer hoffnungsvollen Zukunft und dem Finden einer beruhigenden, inneren Heimat durchlebt sie Zweifel und Ängste.

Mit Orchester-Streichern, -bläsern und Klavier eröffnen die Hamburger „Home“ zunächst ruhig wie eine Morgendämmerung und dann zunehmend symphonisch-bombastisch. ‚In Between‘ hat einen dezent-sympathischen Industrial-Rock-Touch, ist aber trotzdem besonders vom narrativen Gesang geprägt, den Frontmann Marco Glühmann mit seiner extrem ausdrucksstarken und vielseitigen Gesangsstimme zelebriert. Die steht auch im Mittelpunkt von ‚With The Eyes Of A Child‘, melancholisch-klagend interagieren die Vocals hier mit dem Klavier. Bei ‚The Sound Of Her World‘ erklingen erstmals verzerrte Gitarrenriffs, die sich nicht dezent unterordnen und schon bald vereinen sich die Stromgitarren einmal mit Klassik-Streichern. Es ist erstaunlich, wie die Hamburger die Kindheit der Protagonistin mit Tönen zum Leben erwecken, wie die Jungs mit der Opulenz einer Rock-Oper spielen, sie aber in ihrer ganz eigenen Art Akt für Akt inszenieren. ‚Shine‘, den Fans vorab als Video präsentiert, setzt auf eine vergleichsweise simple Struktur, besticht dafür aber mit einer radiotauglichen Gänsehaut-Melodie. ‚Point Of No Return‘ stellt an der Eingängigkeits-Schraube einige Windungen zurück, lässt aber Emotionen auf beklemmende Weise aufleben, die bereits vorher auf dem Album gefühlt werden konnten.

„Home“ ist wundervoll geworden und sowohl qualitativ als auch quantitativ mit über 70 Minuten Spieldauer ein echtes Schwergewicht. Der Vergleich mit RPWL liegt nahe und ist neben dem gemeinsamen Label vor allem bei den erzielten Stimmungen gegeben. Sylvan arbeiten jedoch noch mehr mit variablen Keyboard-Klangteppichen und der im gesamten eher zurückhaltenden, sehr angenehmen Stimme Glühmanns, die im entscheidenen Moment aber durchaus als düstere Eruption überzeugen kann. Die Artrock-Produktion atmet jede Menge symphonische Theatralik, aber auch schmeichelnde Pop-Attitüde, deren Kombination der Veröffentlichung hervorragend zu Gesicht steht. So muss anspruchsvoller Artrock mit gefühlvollem Tiefgang klingen.

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