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Feel The Misery

Sollte man ein Fazit vorwegnehmen? Im Falle My Dying Bride ist dies absolut möglich, denn nichts anderes als ein Album des Monats kann man von den britischen Edel-Doomstern erwarten. Und wie schon auf (fast) jedem Album halten My Dying Bride auf „Feel The Misery“ nicht nur Wort, was den Albumtitel angeht. Mehr als je zuvor lässt die Band den Hörer auf dem neuesten Werk den Schmerz körperlich spüren. Die Growls dominieren wie – und dieser Vergleich bietet sich auch in vielerlei anderen elementaren Qualitäten von „Feel The Misery“ an – zu Zeiten des legendären „Turn Loose The Swans“-Albums. Die Gitarren, nun wieder von Originalgitarristen Calvin Robertshaw, zaubern tragische, melancholische und zutiefst hoffnungslose Melodien ins Ohr des Hörers, der cleane Gesang ist so eindrucksvoll und intensiv (ähnlich übrigens wie die Growls – die Vocal-Leistung von Aaron ist schlichtweg überragend) wie es für My Dying Bride fast normal, für das Genre generell aber mehr als außergewöhnlich ist.

Akustische Gitarren, Klavier, Geige, Keyboardteppiche, die einsetzenden zweistimmigen Gitarren, der wahnsinnig düstere Bass – all die Zutaten, die man an My Dying Bride so liebt, werden auf „Feel The Misery“ potenziert. Stainthorpe & Co. haben es wirklich geschafft, ihrer ohnehin schon überragenden Diskographie ein fast alles überstrahlendes Highlight hinzuzufügen, das möglicherweise vorhandene Fehler der Vergangenheit vollkommen ausmerzt. Düster, tragisch, stellenweise fühlt sich der Hörer von der Tonnenschwere dieser Musik erdrückt. Die gregorianischen Chöre und die düsteren Klangsphären des Mittelparts von „The Crown Of Sympathy“ werden in „I Celebrate your Skin“ genauso wieder aufgenommen wie die unglaubliche Melancholie von „Black God“ im vollkommen gitarren- und schlagzeugbefreiten „I Almost Loved You“, das selbst einem Golem Gänsehaut verursachen würde. Das abschließende „Within A Sleeping Forest“ ist dann 25 Jahre My Dying Bride komprimiert in 10:43 Minuten.

My Dying Bride schaffen es den Zuhörer zu ersticken, zu betäuben, zu zerstören, in kleinste Teile zu zerlegen, zu zerbrechen – und bei all diesen Dingen dem Hörer auch noch vorzugaukeln, dass das, was mit ihm passiert ein wohlig anheimelnder Segen ist. Dieser Album ist vertonter Selbstmord, zerrissen, hoffnungslos und dabei wunderschön. „The Music Of Neglect …“ – so singt Aaron am Anfang des für weniger gefestigte Hörer schier nicht greifbaren Titeltracks. Und im bereits vorab veröffentlichten Opener „And My Father Left Forever“ heißt es:

„I Raise My Hand to Break You / If I don’t … another will.“

My Dying Bride sind die absolute Speerspitze einiger weniger grandioser Bands, die es schaffen, den Hörer tatsächlich physisch zu beeinträchtigen – manche Bands lassen einen die Augen schließen, das Salz des Meeres und den Geschmack des Mets spüren, manche machen einen so aggressiv, dass die nächste Pappmachéwand dran glauben muss. Und My Dying Bride sind die, die den Hörer zum Weinen bringen. Wortwörtlich.

Grandioser, bombastischer, epischer und majestätischer in ihrer vernichtenden Traurigkeit waren My Dying Bride eigentlich noch nie. Jeder einzelne Song ist ein Monument in einem kosmischen Friedhof, der in seinem düsteren Glanz durch die Jahrtausende reicht. Ein Album für die Ewigkeit und die kurze Zeit, bevor man in dieselbe eingeht. Die Bezeichnung „Überragend“ für „Feel The Misery“ ist Tiefstapelei.

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