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Evil Spirits

The Damned haben in den letzten dreißig Jahren nicht gerade durch allzu viel neues Studiomaterial auf sich aufmerksam gemacht. Nach dem 1986 veröffentlichten „Anything“ gab es eigentlich hauptsächlich Touren in typischerweise stetig wechselnder Besetzung und mit „Not Of This Earth“ (das eigentlich nur eine Sammlung unfertiger Demos war), „Grave Disorder“ und „So, Who’s Paranoid?“ gerade mal drei Studioalben. Dass nach zehn Jahren Wartezeit nun endlich Nachschub kommt, freut natürlich, ein wenig Angst spielt aber bei diesem Gedanken auch mit: können die mittlerweile alten Männer überhaupt noch liefern?

Schon die erste Singleauskoppelung ‚Standing On The Edge Of Tomorrow‘ zerstreut viele dieser Sorgen. Eine bombastische Hymne zwischen Spacerock, Gothic und Psychedelic Rock mit einem ausladenden, an David Arnolds Soundtracks erinnernden Orchesterarrangement und einer sofort im Kopf kleben bleibenden Melodie, die die Marschrichtung für den Rest von „Evil Spirits“ vorgibt. Stilistisch ist das Ganze irgendwo zwischen dem gotischen Pomp des „Black Album“, der Sixties-Herrlichkeit von „Strawberries“ und dem poppigen „Phantasmagoria“ angesiedelt. Dave Vanian (v.) und Captain Sensible (gtr), ihre langjährigen Mitstreiter Pinch (dr) und Monty Oxymoron (keys) und Rückkehrer Paul Gray (bs), der auch auf erwähntem „Black Album“ mitgewirkt hatte und danach unter anderem bei UFO aktiv war, versuchen erst gar nicht, die jugendliche Energie von Siebziger-Krachern wie ‚New Rose‘ oder ‚Love Song‘ zu reanimieren – mit Punk Rock im traditionellen Sinne hat „Evil Spirits“ nur wenig zu tun. Das ist einer der großen Pluspunkte des Albums: Hier klingt nichts nach Berufsjugendlichkeit, sondern einfach nach großartiger, origineller Rockmusik mit starkem Sixties-Einschlag.

Im Vordergrund des von Produzentenlegende Tony Visconti (u.a. David Bowie, Manic Street Preachers, T.Rex) betreuten Albums stehen demnach auch die nach wie vor höchst charismatischen Vocals von Davey-Dave Vanian, der vom Crooner zum fiesen Punk-Sneer alle Register zieht, und die höchst cleveren Keyboardarrangements der generell gerne unterbewerteten Band-Geheimwaffe Monty Oxymoron. Der liefert von röhrender Garagenrock-Schweineorgel über klassikbeeinflusstes Pianospiel bis zu den erwähnten Bond-Soundtrack-Orchestersounds den wohl tragendsten Teil zum Sound des Albums. Auch wenn Captain Sensibles Gitarrenarbeit deshalb ein wenig in den Hintergrund rückt, kann auch er mit wirklich schönen, sahnigen Leads und knackigen Rhythmuspassagen punkten. Über das Powerhouse Pinch muss man nicht mehr viele Worte verlieren: es dürfte im kompletten (weit gegriffenen) Punk-Bereich keinen anderen Drummer geben, der es schafft, Rat Scabies fast vergessen zu machen. Ja, und dann währen da noch die an Paul McCartney und John Entwistle erinnernden, hochmelodischen und groovigen Basslinien von Paul Gray – einfach schön, dass er wieder da ist!

Aber, eine gute Performance und eine hervorragende Produktion nutzen natürlich nichts, wenn die Songs nicht stimmen. Aber auch hier kann „Evil Spirits“ durchweg überzeugen. Die hier als Opener fungierende Vorabsingle hatte ich ja bereits erwähnt, aber auf gleichem Niveau geht’s hier auf volle Distanz weiter. Ob kraftvolle Garagenrocker wie ‚Devil In Disguise‘ und ‚I Don’t Care‘, psychedelische Space-Rocker wie ‚Shadow Evocation‘ oder gar mit Northern Soul-Elementen Verschönertes wie ‚Procrastination‘ und ‚We’re So Nice‘, das Dargebotene sollte jedem Follower der Band sofort ein Lächeln isn Gesicht zaubern. Auch wenn Letzteres vielleicht ein wenig arg an die eigenen Klassiker ‚Stranger on The Town‘ und ‚Lovely Money‘ angelehnt ist – aber wir haben dem Captain ja auch seinerzeit verziehen, dass er das Riff von ‚Ignite‘ für ‚Thanks For The Night‘ recycelt hat… Dave Vanians Rockabilly- und Country-Begeisterung wird mit ‚Daily Liar‘ und ‚Look Left‘ Rechnung getragen, die auch seinen Phantom Chords gut zu Gesicht gestanden hätten. Auch textlich hat die Band diesmal einiges zu sagen. Speziell die Mainstreammedien – noch nie die besten Freunde der Band – und ihre Einflussnahme auf die politische Stimmung werden ohne erhobenen Zeigefinger, aber dafür mit viel Wortwitz und Sarkasmus thematisiert.

„Evil Spirits“ ist somit ein absolut hochwertiger Neueintrag in die ausfallfreie Diskographie der Band, der zwar den nach 77er-Stoff lechzenden Alt-Punks nach wie vor keine Versöhnungshand reicht, aber dafür den Massen an deutlich jüngeren Sixties-beeinflußten Garagenrock-Bands der letzten Jahre immer noch locker und entspannt Paroli bieten kann. Den Mainstream knacken The Damned damit wahrscheinlich wieder einmal nicht – eines der besten Alben des Jahres haben sie damit aber schon im April abgeliefert.

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