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Every Open Eye

‚The Bones Of What You Believe‘ katapultierte Chvrches‘ lupenreinen Elektro-Pop in die große weite Welt. Dass sie als eine im Internet geborene Band damit im Fokus zahlreicher gieriger Augen stehen, bringt Segen und Fluch zu gleich. Es sind nicht nur die hochgesteckten Erwartungen – immerhin geht es um das Erbe der Ohrwurmansammlung rund um ‚Gun‘ oder ‚Recover‘- hier geht es auch um ihr Durchboxen im Kampf um eine ernstzunehmende Stellung unter den Pop-Politikern. Mit dem Ruhm kam auch die Hetze. Mit ihrer starken Präsenz in sozialen Netzwerken der Alltagssexismus und Online-Trolls, die mit Kommentaren unter der Gürtellinie gegen Lauren Mayberry vorgingen. Chrvches fahren dabei zusammen als Band eine klare Linie: Scheiß‘ auf die Leute, die dir vorschreiben wollen, wer du zu sein hast! Den aufgepressten Meinungen zeigen sie selbstbewusst den Mittelfinger. Während Mayberry sich in den Medien gegen Misogynie und für mehr Feminismus ausspricht, wächst das Trio als Band zusammen. Das hört man auch auf ‚Every Open Eye‘.

Damit wird ihr Zweitling zum vollen Erfolg. Es geht hier sicher nicht um direkte Überwältigung punktueller Probleme. Die Songs drehen sich allesamt um Verlust, Schmerz und die Verarbeitung des Negativen. Ob man nun einen Trennungssong, einen Befreiungsschlag oder eben Mayberrys feministische Agenda daraus machen möchte, sei einem freigestellt. Die klaren und eingängigen Melodien geben dabei das perfekte Fundament für bedeutungsschwangere Texte. Sie sind auf den Punkt gebracht, reduziert und müssen nicht in einer Überlagerung zahlreicher Synthie-Schichten untergehen.

Während Chvrches 2013 noch an den 80ern festhielten, geht ‚Every Open Eye‘ einen großen Schritt Richtung 90s. Die Bässe wiegen mehr, der Beat wird angezogen und Songs wie ‚Empty Threat‘ oder ‚Make Them Gold‘ damit zu fesselnden Uptempo-Nummern erkoren. Gerade im bahnbrechenden Song ‚Clearest Blue‘, der die Songschreiberraffinesse der Glasgower deutlich hervortut, verbinden sich ihre besten Fähigkeiten: mitreißender Beat, eingängige Melodie und ein finales Synthie-Tiff, das jede Disko zum Explodieren bringen könnte. Die stetigen Beats und die klingelnden Hooks umgeben sich von feinsten Synthieteppichen, die Lauren Mayberrys tauklare Stimme zum Glänzen bringen. Alleingelassen auf ‚Afterglow‘ stellt sich der Beat auch mal aus, und entschleunigt vom energiegeladenen Rest. Auch ‚Playing Dead‘ spielt mit ihrer nachdenklicheren Seite, auf ‚High Enough To Carry You Over‘ übernimmt Martin Doherty den Gesangspart und schaltet mit locker-lässigen Vibes einen Gang runter. ‚Downside of Me‘ entzieht den wabernden Bässen die Schnelligkeit und entfaltet sich auf himmlische Weise zu einem sanften Gebet.

Chvrches bestimmen mit ‚Every Open Eye‘ die Richtung und halten die Zügel sicher in ihren Händen. Ihre Popmusik entfaltet sich, wächst und bleibt dabei gehaltvoll. Martin Doherty, Iain Cook und Lauren Mayberry wissen was sie können, wo sie stehen und was sie erreichen wollen. Damit wachsen sie zu einem selbstbewussten und dem dynamischsten Poptrio der letzten Zeit heran. Den kritischen Blicken kann sich ‚Every Open Eye‘ damit stellen. Den Dreien ist durchaus Eindrucksvolles gelungen.

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