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Entanglement

Ehrlichkeit als Arbeitsmaxime ist ja schon löblich. Aber noch dazu Verwundbarkeit? Wie weit soll das denn noch gehen mit der Entkleidung? Antwort: So weit die Tonleitersprossen tragen. Die Aussicht, einfach nur Musik zu machen, hat Digitalboykotteur Michael Price zu einem Album inspiriert, das alle Hüllen fallen lässt und in seinem dezenten Chic tief bewegt.

Auch wer noch nie von Michael Price gehört hat, wird sehr wahrscheinlich irgendwann einmal mit seiner Arbeit in Berührung gekommen sein. Immerhin zwei Jahrzehnte mischt Price jetzt in der Filmmusikbranche mit. Und überhaupt: Den Herrn der Ringe und Sherlock gleichermaßen umschifft zu haben, wäre eine reife Fluchtleistung. Auf ‚Entanglement‘, was übersetzt genauso gut „Verknüpfung“ wie „Gewirr“ bedeuten kann, nimmt sich der Brite endlich einmal genug Zeit für sich selbst. Dem Resultat könnte man ohne Weiteres unterstellen, es verlange nach einem Film. Man kann das aber auch einfach lassen, ‚Entanglement‘ so hören und – wie es ja auch gedacht ist – für sich selbst stehen lassen. Die Hobbits und Detektive streifen dann – wenn denn überhaupt – auf eigene Gefahr und im Kopfkino durch ihre Habitate.

Obschon getragene Streicher das Album prägen und der Komponist selbst am Klavier sitzt, dürfte einem das K-Wort früher oder später im Halse stecken bleiben. Etwa beim im ewigen Eis gefangenen Tschilpen der ‚Digital Birds‘, den Field-Recordings aus Budapest, die sich als Textur durch das gleichnamige Stück ziehen, oder der vom Magnetplattenspieler verursachten Schlierung von ‚The Attachment‘. Oder aber schließlich bei der Beobachtung, dass die strahlenden Flächenkompositionen auf ‚Entanglement‘ nicht bloß zeitlos sind, sondern die Zeit obendrein ausbremsen, und das so zärtlich wie der Morgendunst das Dämmern eines neuen Tages.

Wie um die Erinnerung zu wahren, tiriliert Sopranistin Ashley Knight in ‚Maitri‘ und ‚The Uncertainty Principle‘ Wakas und Haikus, japanische Gedichte von Vergänglichkeit und schwindender Schönheit:

‚Autumn evening / With her sleeve / She wipes a mirror.‘

Strahlend hell klingt das, aber doch irgendwie bedrohlich. Und ähnlich bedächtig geschichtet wie Prices Partituren, ähnlich schattiert wie Prices Kompositions-Leitbild

‚eine[r] dunkle[n] Entdeckung in einem Berliner Plattenladen in den 30ern‘

. Tür und Tor und Herz und Seele öffnet diese Platte dem Rezipienten und lockt ihn in ihren Kokon; er braucht nur noch einzutreten, und die Verflechtung beginnt. Ganz ohne Film.

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