Different Stories

Offen gesagt sind im Studio aufgenommene Akustikalben von Rockbands meist ziemlich für’n Popo. Selbst die von mir gnadenlos verehrten Marillion haben es mit „Less Is More“ geschafft, hauptsächlich pure Langeweile zu verbreiten – obwohl sie mit dem live mitgeschnittenen „Unplugged At The Walls“ einige Jahre zuvor deutlich gemacht hatten, dass ihre Musik sehr wohl und ohne Qualitätseinbuße auch ampfrei funktionieren kann. Die Ankündigung der Akustikscheibe „Different Stories“ der Australier Anubis löste demnach bei mir erst einmal keine große Vorfreude aus.

Doch überraschenderweise macht „Different Stories“ durchaus Spass. Naja, ich sage Spass – aufgrund der oft düsteren und traurigen Musik der Band vielleicht nicht das richtige Wort. Das liegt hauptsächlich daran, dass die Songs, die hauptsächlich den frühen Alben der Band entstammen, in den Akustikversionen deutlich gestrafft kommen und die streitbaren Hardrock-Riffs, die die Band in ihrer Frühphase gelegentlich etwas unmotiviert einsetzte, hier fehlen. Somit liegt der Fokus noch deutlicher auf der tollen Stimme von Robert James Moulding, der irgendwo zwischen Tom Chaplin, Tim Bowness und, gerade in den Falsett-Momenten, John Watts zuhause ist. Allen voran der Opener ‚The Passing Bell‘, im Original ein typischer Neoprog-Longtrack mit Artrock-Elementen, gewinnt vom neuen Arrangement unheimlich viel. Das pompöse Finale wurde zwar für die Akustikfasung gestrichen, aber trotzdem werden die immer noch 13 Minuten Spielzeit keine Sekunde langweilig. Generell muss man der Band auch Respekt zollen, dass sie sich nicht nur an die kurzen, songorientierten Stücke gewagt haben, sondern auch ein paar ihrer Longtracks akustisch „verwurstet“ haben. Mit ‚Fool’s Gold‘ ist zwar nur ein Song von fantastischen letzten Album „The Second Hand“ enthalten, dafür aber gleich mein persönliches Lieblingsstück, das auch in der Stromlos-Fassung absolut überzeugt. Und der bislang unveröffentlichte Abschlusstrack ‚Technicolour Afterlife‘ mit seinen Anleihen an Pink Floyd ca. 1969-1972 und George Harrison ist einfach ein wunderschönes, optimistisch-melancholisches Stück Musik, das den Kauf für Fans sowieso schon unvermeidlich macht.

Auch wenn sich wohl nicht nur bei mir mittlerweile eine klare Übersättigung an Neoprog-meets-Artrock-Klängen eingestellt hat, zeigen Anubis mit dieser gut einstündigen Scheibe, dass sie definitiv zu den letzten Genre-Protagonisten gehören, die immer noch mit ungebrochener Qualität und hoher Eigenständigkeit agieren. Und als Überblick über die Bandgeschichte vor „The Second Hand“ ist „Different Stories“ auch zu gebrauchen. Also, ab in den Webshop von Just For Kicks und sofort eintüten – falls noch nicht geschehen, gleich im Doppelpack mit „The Second Hand“.

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