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Der Katalog 3-D

Keine Frage, Kraftwerk waren „damals“ eine wichtige und stilprägende Band, die der kompletten elektronischen Musik einen Atlas präsentiert hat, mit dem bis heute navigiert wird. Seit geraumer Zeit allerdings ist Zukunftsmusik für Ralf Hütter (das einzig verbleibende Mitglied aus der klassischen Phase 1971-1981) eher ein Fremdwort. Nostalgie und deren Vermarktung stehen im Vordergrund. Daß seit dem letzten Kraftwerk-Livealbum „Minimum-Maximum“ kreativ rein gar nichts passiert ist, macht also tendenziell die Veröffentlichung eines weiteren Livealbums schon einmal zumindest diskussionswürdig.

Aber, immerhin läßt sich Hütter für die Vermarktung der eigenen Legende im Gegensatz zu vielen Zeitgenossen immer wieder etwas einfallen. So betourten Kraftwerk in den letzten vier Jahren Museen in aller Welt mit Installationen und Performances all ihrer Alben von 1974 bis 2003 in vollem Umfang mit Multimedia-Anspruch und 3D-Technik. Das Album zu diesen Extravaganzen liegt nun mit „Der Katalog 3D“ vor. Die (hier besprochene) Standard-Version präsentiert die Highlights auf einer 3D-BluRay und das gleichen Material nochmal als Bonus-DVD. Eigentlich schön, aber es sollte erwähnt werden, daß man für knapp 30€ gerade mal 76 Minuten Content geboten bekommt – value for money geht anders.

Leider muss man auch schlucken, daß alle (!) auf dieser Standard-Edition enthaltenen Stücke auch schon auf „Minimum-Maximum“ enthalten waren. Und, da es hier um Kraftwerk geht, im Prinzip in ziemlich gleichen Versionen, die alle an die 1991er Remakes vom „The Mix“-Album angelehnt sind. Im Gegensatz zu „Minimum-Maximum“ wurden hier auch alle Anzeichen für ein anwesendes Publikum stummgeschaltet, so daß man wirklich keinerlei Konzertflair mehr wahrnehmen kann. So wirkt das Ganze musikalisch eher wie ein Re-Recording oder ein Remixalbum als wie eine „Performance“ – wobei, was bei Kraftwerk „live“ bedeutet, ist eh nur schwer nachvollziehbar. Dafür nutzt der Mix das Potenzial des Surroundklanges endlich einmal vollkommen aus.

Nun, aber der Hauptvermarktungspunkt ist ja die multimediale Umsetzung des Ganzen. Offen gesagt zieht „Der Katalog 3-D“ aber visuell nicht unbedingt die Butter vom Brot. Die Bildqualität ist natürlich absolut kritikfrei, aber das nutzt leider nicht viel, wenn das Geschehen eher, nun ja, unspektakulär ist. Die Band wird fast ausschließlich in der Totalen gefilmt, bei 95% des Videomaterials handelt es sich um die Animationen, die bei den Shows auf den Leinwänden hinter den Musikern gezeigt wurden. Und die sind leider nun wirklich keine atemberaubenden Kunstwerke. Klar, Retro-Minimalismus ist das Kraftwerk-Prinzip, aber die optische Umsetzung erinnerrt eher an 14jährige YouTuber als an museumsreife Hochkultur. Im Prinzip handelt es sich um Flash-animierte Elemente der ikonischen Artworks von Emil Schult, Karl Klefisch und Wolfgang Flür, bei den neueren Stücken kommen noch Ausschnitte aus den MTV-Videoclips hinzu (z.B. die Schwarz-Weiß-Fernsehbilder der Tour De France). Die 3D-Spielereien kommen dabei gelegentlich ganz amüsant – zum Beispiel die Gitterköpfe aus dem „Electric Cafe“-Artwork – aber meist dann doch eher überholt, unspektakulär und ein wenig, nun ja, langweilig.

Als Alternative zur Standard-Version gibt es aber auch noch die „vollständigen“ Versionen, die die Neufassungen der acht Alben komplett enthalten. Allerdings kostet das Box-Set mit vier BluRays auch mal gleich um die 150€ – da muß man schon harter Fan sein. Immerhin gibt es auch das reine musikalische Geschehen in einer 8-CD-Clamshell-Box für überraschend fanfreundliche 50€. Dabei sei allerdings vorgewarnt, daß die Originalkompositionen keineswegs in voller Länge aufgeführt werden, sondern die Alben zu ca. 25-30minütigen „Konzentraten“ eingedampft wurden und auch im Albumkontext statt den Originalarrangements die „The Mix“-Versionen enthalten. Das ist dafür aber nicht nur als einziges Album in Originallänge, sondern auch mit dem Bonustrack ‚Planet Der Visionen‘ (aka ‚Expo 2000‘) nochmal als eigenständiger Tonträger vertreten.

Butter bei die Fische – die, die einen Einstieg in die Kraftwelt suchen, sind mit dem umfassenderen und tatsächlich auch visuell interessanteren „Minimum-Maximum“-Livemitschnitt von 2005 weit besser bedient – auch wenn’s den noch nicht als BluRay gibt. Was ein Meilenstein in der Bandkarriere hätte werden können und sollen, krankt an einer recht unspektakulären Umsetzung. Der saftige Preis für die Vollversion gibt einen weiteren Grund dafür, vor Anschaffung von „Der Katalog 3D“ gut und lange nachzudenken.

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