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Defeated Sanity – Seelenreisen, Todesmetall und Miles Davis

Aus dem Untergrund kamen schon immer die interessantesten Neuentwicklungen, nur um dann mit dem Erfolg zum Mainstream zu werden. Bands wie Venom, Celtic Frost und Napalm Death in Europa und Morbid Angel oder Death in den USA überschritten die Grenzen des bisherigen aus und schufen so Neues. 2016 ist beinahe alles schon einmal dagewesen. Wenn man tief genug gräbt, findet man allerdings nach wie vor Bands, die anders sein wollen. Vektor aus Kanada fusionieren Thrash-, Black- und Progmetal zu einer abgefahrenen Science-Fiction-Space-Opera. Wormed gurgeln und rumpeln wie Ausserirdische, die extremen Metal spielen. Und Ulcerate aus Neuseeland wurden sogar als „die vielleicht intelligenteste Metalband der Gegenwart bezeichnet.“

Defeated Sanity, die in einer vergleichsweise grossen, weltweiten Fangemeinde hoch verehrt werden, machen seit über 20 Jahren ihr eigenes Ding. Die Musiker um Schlagzeuger Lille Gruber machen sich Gedanken, nicht nur über ihre Musik und deren Weiterentwicklung, sondern sprichtwörtlich über Leben und Tod, Gott und die Welt. Schon das letzte Album „Passages of Deformity“ von 2013 setzte sich mit verschiedenen Daseinszuständen aus der Perspektive fernöstlicher Philosophie auseinander. 2016 heben Defeated Sanity mit ihrem neuesten Output diese Idee auf eine neue Ebene. Und wie fast immer bei solchen Geschichten begann alles mit einer „verrückten Idee“.

„Die Grundidee zu diesem Konzept stammt von Konni, der meinte: „Lass uns eine Split-EP mit uns selbst machen“. Das fand ich sofort interessant und hab dann eiskalt angefangen, das umzusetzen“

, verrät uns Drummer Lille Gruber im Interview. Das neueste Werk der Jungs ist kein klassisches Studioalbum, sondern eine „Doppel-EP“ mit je einem musikalisch und thematisch völlig eigenen Konzept und Sound, inklusive zwei verschiedener Sänger. Daher auch der doppelte Titel: „Dharmata/Disposal of the Dead“.

Lille kommt ein bisschen ins Schwärmen, wenn er über „Disposal Of The Dead“ und „Dharmata“ spricht, und das ist nachvollziehbar, wenn man sich die Dynamik der Gegensätze verdeutlicht: „Disposal“ steht für den physischen Teil des Albums und kennzeichnet sich als „klassisches“ Brutal Death Metal Album: „Ultra-Brutal, ultra-schnell mit ultra-gutturalen Vocals von Konstantin Lühring, der den Gesang vor seine Weggang noch aufgenommen hat. Es gibt tonnenweise Blastbeats und Double-Bass, aber keine Licks, Fills und Soli und der erste Teil des Albums enthält auch deutlich weniger krumme Taktarten und Taktwechsel als gewöhnlich. Auch die Tonarten bleiben innerhalb der kurzen Songs gleich. Die Texte der insgesamt sechs Songs behandeln jeweils ein Bestattungsritual aus einer anderen Kultur. „Dharmata“ dagegen ist der spirituelle Teil des Albums und behandelt das Tibetische Totenbuch Bardo Thödröl und die dort beschriebene Reise der Seele, wenn sie den Körper verlässt. Musikalisch ist „Dharmata“ in beinahe jeder Hinsicht das genaue Gegenteil von „Disposal“: Keine Blastbeats und Double-Bass, aber jede Menge Soli, Licks und Intermezzi. Der Bass ist sehr deutlich zu hören, die Gitarren sind clean und der Gesang geht in Richtung Old School Death/Thrash. Für die Aufnahmen konnten Defeated Sanity Max Phelps (Ex-Cynic, Death (DTA) und Exist) gewinnen. Die Songstrukturen sind komplex mit jeder Menge krummen Takten und Taktwechseln, jeder Song beginnt in einer anderen Tonart und durchgeht mehrere Modulationen. Dementsprechend ist kein Lied kürzer als fümf Minuten. Alles ist also sehr technisch und verspielt.

Klingt spannend, aber auch anspruchsvoll. Ob es besondere logistische, finanzielle Herausforderungen zu bestehen galt und ob das Label bei dem ungewöhnlichen Konzept mitgespielt hat, wollen wir von Lille wissen.

„Ja, es war schon sehr aufwendig. Wir brauchten jeweils zwei Bässe und Gitarren wegen den unterschiedlichen Stimmungen der Instrumente. Für Live haben wir uns nach einem zweiten Gitarristen umgesehen, den wir in Kevin Heiderich gefunden haben. Ausserdem stieg Konni dann ja aus und wir mussten Max aus Maryland in den Staaten einfliegen lassen. Zum Glück hatten wir von Willowtip ein super Budget! Auch vom physischen und psychischen Aspekt war das ganze sehr anstrengend und ist es auch immer noch. Mann muss eben zwei vollkommen verschiedene Spielarten beherrschen und auch zwei verschiedene LiveSets frischhalten. Das ist ein bisschen so wie ein Schauspieler, der zwei Rollen zur gleichen Zeit lernen muss.“

, lacht Gruber.

Für den ausgestiegenen Sänger Konstanin Lühring ist inzwischen ein Nachfolger gefunden, wobei das beschriebene Konzept auch beim Gesang aufwändig umzusetzen ist.

„Josh Welshman hatte vorher ein One Man Project namens Autonomy und hat uns sehr beeindruckt. Er ist für den Trademark Defeated Sanity Sound am Mikrofon verantwortlich und hat schon auf den letzten Gigs und Tourneen gezeigt, dass er der richtige Mann für Defeated Sanity ist. Wegen der anstehenden Tour, bei der wir „Dharmata“ und „Prelude“ spielen wollen, werden wir wohl gucken müssen. Max ist ein sehr beschäftigter Typ, wobei wir hoffen, dass wir ihn auch für die Live-Termine verpflichten können. Wenn nicht, müssen wir uns um Ersatz kümmern. So ist das eben.“

kommentiert Gruber die aktuelle Situation am Mikrofon. Defeated Sanity sind Unwägbarkeiten gewohnt und lassen sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen. Ob sie die diversen Rückschläge, schlechten Konditionen bei Live-Auftritten und den anderen ärgerlichen Kram nicht satt haben, wollen wir von Lille wissen. Schliesslich hat man für eine Untergrundband eine beachtliche Anhängerschaft, werde regelmässig ins aussereuopäische Ausland eingeladen und wird auch von Kritikern geschätzt. „Ich glaube, wir sind die Band deren Status sich am langsamsten immer ein Stück weiter nach oben bewegt. Slooooow and steady. Mal gucken, wie und ob das weitergeht“, antwortet der Drummer in einer witzigen Mischung aus Fatalismus und Hoffnung.

Wie schon „Passages of Deformity“ ist jetzt auch „Dharmata“ stark von buddhistischem Gedankengut geprägt, eine interessante Herangehensweise für eine Brutal Death Metal Band. Wir fragen Lille, was es damit auf sich hat und ob er sich als Buddhisten bezeichnen würde.

„Ich habe mich nach einem schweren Verlust einfach stark angefangen für den Buddhismus zu interessieren. Ich würde noch nicht mal sagen, dass ich ein Experte bin. Ich finde trotzdem, dass es wohl die sinn- und friedvollste „Religion“ ist, die es auf der Welt gibt. Eine sehr interessante Sache waren für mich die „zornvollen Gottheiten“ welche einem nach dem Tod erscheinen sollen. Junge Mönche werden schon früh auf diese Halluzinationen vorbereitet. Sie ziehen sich diese Dämonenmasken auf, um sich gegenseitig zu erschrecken, aber alles als Spiel. Das fand ich eine lustige Parallele zu uns Metalheads, die ja auch Horror, Gore, Dämonen et cetera als „ihr Spiel“ sehen. Diese zornvollen Gottheiten waren dann eben die Vorlage für ‚At One With Wrath‘ und dieser Titel und Text gilt für mich auch für die Metalszene.“

Gruber ist ein exzellenter Schlagzeuger mit einem offenen Verstand und einer ganz eigenen Art, sein Instrument zu spielen. Natürlich kann der Wahl-Berliner alles, was man in einer Brutal- Death-Metal-Band so draufhaben muss. Aber darüber hinaus ist der aus Bayern stammende Perkussionist auch für seine ungewöhnlichen Drum-Fills bekannt, die auch auf dem neuen Album wieder zahlreich zu finden sind und einen der Reize der Band ausmachen. Interessant genug für uns, um zu fragen, wie sich so etwas entwickelt. Geht es darum, sich selbst herauszufordern? Oder will man sich einfach abheben, „anders klingen“ als die vielen anderen Bands da draussen?

„Das mit dem „anders klingen“ kommt schon hin!“

, bestätigt Lille die Vermutung.

„Ich mag „normale“ Rock und Metal-Sachen nicht besonders. Ich versuche mich eben weiterzuentwickeln. Wenn man so lange Musik macht, möchte man halt nicht immer die gleichen Sachen runterspielen, sondern neue Techniken, Grooves et cetera entdecken. Mich stört gerade bei den meisten Technical Death Metal Bands immer der UNdynamische Ansatz. Das ist mir alles zu eckig, zu rockig, zu grob. Ich bin da schon sehr Jazz/Fusion/Rock beeinflusst. Subtiles Spiel war mir schon immer wichtig“

, schliesst Gruber, der bekennender Verehrer von Johann Sebastian Bach und John Coltrane ist und im Gespräch ermutigt, sich mit den Werken diesen grossen Musiker auseinander zu setzen.

Trotzdem wollen wir von einem profunden Kenner der Brutal-Death-Metal-Szene wie Lille Gruber zum Abschluss des Gesprächs noch wissen, was sich im Szene-Untergrund gerade so tut und ob er aktuell Hörempfehlungen für Freunde des härtesten Musikgenres überhaupt hat?

„Holt euch Iniquitous Deeds „Incessant Hallucinations“ und wartet was die Jungs als Nächstes bringen. Ich glaube, die werden sich noch sehr steigern. Die neue Inherit Disease ist auch geil geworden. Dann Revulsed mit unserem bisherigen Sänger Konni an den Vocals, auch ’nen super Ding. Abnormal Inhumane aus Griechenland ist was für alle die auf neues Inveracity Zeug warten. Ach ja, und hört mehr Bach und Miles Davis, weil die sind besser als wir und ihr!“

, lacht der sympathische Schlagzeuger.

Interview: Daniel Frick
Fotos: Defeated Sanity

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