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David Bowie – Kunst essen Tod auf

Magere drei Tage lang war „Blackstar“ ein Album. Am 11.01.2016 gerät es zum Trauerspiel. Gibt sich als Requiem zu erkennen, das David Bowie abfasste, als ihm bewusst war, worauf das alles hinauslaufen würde. „Düster“ fand das Feuilleton diese bizarre Platte, ohne das Verhängnis zu wittern, das ihr anhaftete. Jetzt setzen sich die beklemmenden Videos, die ambivalenten Textzeilen und die Schwarz-in-Schwarz-Optik der Artworks zu einem Gesamtbild zusammen, das eine verstörend klare Sprache spricht. Die vermeintlich zur Schau getragene Todessehnsucht entpuppt sich als fatalistisch-künstlerische Gefasstheit. Und überhaupt: So vieles, das man niemals aufgelöst haben wollte, scheint plötzlich Sinn zu ergeben. Für eine logische Sekunde zumindest. Dann ist alles wieder so mystisch, wie man es als Fan liebt. Nebel als Komfortzone. Nur der Mystiker selbst ist da schon abgetreten. Mit 69 Jahren.

Ja, David Bowie ist tot. Der Punkt „Blackstar-Review“ verschwindet von den To-Do-Listen derjenigen, die es noch nicht geschafft hatten, die 42 Minuten Poptranszendenz hinreichend einzuordnen. Geschriebenes wird verworfen, von Tränen durchnässt oder mit wissendem Unterton versehen. Wer zu klarem Verstand findet, verfasst einen Nachruf, wie dieser einer sein könnte. Wer weiter sprachlos bleibt, wird hören, bis der Groschen fällt: David Bowie ist nicht sterblich, weder er noch Major Tom, Ziggy Stardust, Aladdin Sane, der Thin White Duke und wie sie alle hießen. Wirklich von uns gegangen ist allein David Robert Jones – diese gewöhnliche menschliche Hülse, den das Phänomen Bowie bewohnte, um auf dieser Erde zu wandeln, Instrumente zu bedienen und dem Heroin zu begegnen. Seine Genialität hat er mit aufs Sterbebett gezerrt. Und so muss auch der Tod sich am Ende fügen: in einen großen, verzahnten Kunstakt, in dem er nichts weiter ist als ein Klötzchen, und sei es auch das letzte und dunkelste.

Jahrzehntelang rollte die Bowie-Lok beharrlich durch die jüngere Musikgeschichte, Station to Station, immer ein paar Stopps voraus. Künstler wie Iggy Pop, Brian Eno und Tony Visconti stiegen ein und hielten ihre Nasen in den Fahrtwind. In den Siebzigern war der Gipfel erklommen. Bowie machte pränatalen Indie-Pop und frühreifen Industrial, versuchte sich gegen die Strömungen und verkörperte das Außenseiter-Role-Model wie niemand zuvor. Bowie machte Berlin – wo er immerhin drei Jahre wohnte (und brillierte) – hip. Und Bowie war queer, bevor überhaupt jemand wusste, was das genau bedeutet. Als Chamäleon des Pop trotzte er in der Haut immer neuer Kunstfiguren dem Verschleiß. Ch-ch-ch-ch-changes waren unabdingbar. Der Windschatten des Eisbrechers ließ ganze Zweige der Kunstlandschaft gedeihen – nachdem die Kulturschöckchen erst einmal aus dem Fell geschüttelt waren. Als er im Frühjahr 2013 nach zehn Jahren Versteckspiel mit „The Next Day“ aus dem Schatten trat, wurde klar: Das Pulver ist noch lange nicht verschossen. Vermutlich hätte David Bowie Jahrhunderte alt werden müssen, um nicht viel zu früh zu sterben. In künstlerischer Hinsicht. Dass David Bowie Theater- und Filmrollen besetzte und zuletzt gar ein eigenes Musical, genannt „Lazarus“, ins Leben rief, wird überschattet von seinen unschätzbaren Verdiensten um die Musik.

Jetzt, 140 Millionen verkaufte Platten später, ist Endstation; der Schaffner steigt aus, das Chamäleon versteinert zum Denkmal. Entrückte Jazz-Bastarde werden laut; die Worte, die da gerade noch so flockig aus der alten Kehle emporstiegen, wiegen mit einem Mal tonnenschwer. „Blackstar“ ist nicht mehr lediglich sperrig, es ist kontaminiert, ja, bis auf weiteres unhörbar. Und doch muss es gerade jetzt gehört werden, um den Umständen irgendwie Herr zu werden. Um zu begreifen. Zu verdauen. Sich glücklich zu schätzen, sein Zeitgenosse gewesen sein zu dürfen. Ja, dieser Gedanke fühlt sich gut an – halten wir doch daran fest.

„Look up here, I’m in heaven“, singt Bowie in „Lazarus“, dessen Schicksal er nun, nach unzähligen Reinkarnationen, nicht mehr teilt. „Oh, I’ll be free – just like that bluebird!“, phantasiert er uns vom sich unbeteiligt drehenden Plattenteller aus entgegen. „And may God’s love be with you“, skandieren wir gemeinsam mit seiner Frau und den zwei Kindern, die er hinterlässt, und bekommen einen Ohrwurm geschenkt. Der Mann, der einst vom Himmel hinabfiel, fällt wieder hinauf, Planet Earth is blue, und die Sterne, sie bleiben wohl noch eine ganze Weile dunkel. Einer ganz besonders.

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