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A.R. & Machines – The Art Of German Psychedelic

Anfang der 1970er war die Musikwelt durch die Bank weg überfordert, als Ex-Rattles-Gitarrist Achim Reichel – in der Beat-Ära veritabler Teenie-Star aus deutschen Landen – sich mit seinem Bandgerät einschloß und das Album „Die grüne Reise“ aufnahm: ein höchst minimalistisches, psychedelisches und, dem Titel folgend, recht verrauchtes Werk, das auf Experimenten mit dem Delay seiner Bandmaschine fußte. Selbst Reichel selbst schien eine ganze Weile von den vier unter dem Projektnamen A.R. & Machines (plus das unter seinem eigenen Namen herausgebrachte Livealbum „Erholung“) nicht mehr viel zu halten – eigenhändig sorgte er dafür, daß die Alben nicht weiter vertrieben wurden und aus dem Backkatalog gelöscht wurden, während er sich sehr erfolgreich mit Vertonungen klassischer Dichter, Rock-Arrangements von Shanties und kommerziellem Deutschrock betätigte.

All das führte natürlich wie bei den ersten vier Kraftwerk-Alben zu einer Kultisierung der „Machines“-Alben, die in der Folge natürlich kräftig als Bootlegs kursierten, während Originalpressungen auf Plattenbörsen für Fantasiepreise gehandelt wurden. Nachdem bislang lediglich das Debüt „Die grüne Reise“ vollständig auf CD erhältlich war, erzählt nun das 10-CD-Boxset „The Art Of German Psychedelic (1970-74)“ die komplette Story von Achim Reichel und seine Maschinen – inklusive fünf CDs mit unveröffentlichter Musik. Reichel selbst bezeichnete das Material als „Starken Tobak“. Nun, was die „Machines“-Alben vom Großteil der experimentell krautrockenden Zeitgenossen deutlich unterscheidet, ist erst einmal, daß hier keinerlei Anbiederei an Free Jazz oder neutönende Klassik erfolgt. Zum Zweiten spielen auch die Synthesizer so gut wie keine Rolle – statt des „einfach anschalten, ein paar Knöpfchen drehen und warten was passiert“-Ansatzes der frühen Elektroniker basiert Reichels Musik auf ganz deutlich handgemachtem Gitarrenspiel, das sich seine Inspiration gerne auch mal im Blues oder Rock’n’Roll sucht. Schließlich bauen die Songs alle auf geloopten Gitarrenriffs auf, zu denen dann die Rhythmusinstrumente unterstützend beziehungsweise sich reibend einsteigen. Klingt vertraut? Richtig, genau das Gleiche wird seit einigen Jahren „ganz frisch“ im Post-Rock und -Metal-Bereich gemacht, nur, daß man eben heuer die Loopstation hat, wo früher die Bandmaschine herhalten muss.

Auf jeden Song einzugehen, würde natürlich hier den Rahmen sprengen, so also ein paar warme Worte zu den Alben. „Die grüne Reise“ ist der Ausgangspunkt, und auch wenn Reichel versucht, aus den Loop-Improvisationen teils „richtige“ Songs zu machen (‚You Are The Singer‘), die Highlights sind doch die instrumentalen Stücke. Der minimalistische Ansatz entwickelt eine höchst hypnotische Wirkung, auch wenn die Riffs noch recht konventionell klingen – ‚Globus‘ bespielsweise basiert auf einem knackigen Kinks-Riff, ‚A Book’s Blues‘ ist – welch Überraschung – ein klassisches Blues-Thema und ‚Come On People‘ klingt mit seinem Hippie-Mantra und den Welt-Musik-Percussions durchaus sogar „Beat Club“-kompatibel (Spätphase zumindest). Hart wird es beim fast zwölfminütigen Abschlusstrack ‚Truth And Probability‘, bei dem scheinbar zufällig Fragmente aus Riffs, Geräuschen und Stimmen geloopt und durcheinandergewürfelt werden – da kann man dann trefflich streiten, ob das überhaupt noch Musik ist oder „nur“ Kunst.

Das wohl geschlossenste und nach Ansicht des Verfassers beste Album der Box ist klar das Zweitwerk „Echo“. Wo beim Debüt noch scheinbar die Maschinen die Richtung bestimmt hatten, ist es hier ganz klar Reichel, der der Maschinenwelt seinen Willen aufzwängt und sie zum Komponieren nutzt. Diese Kompositionen sind zwar immer noch alles Andere als konventionell oder gar kommerziell, die vier – je eine Plattenseite einnehmenden – Suiten haben aber einen deutlich durchdachteren Flow, einige Songs wurden gar mit Streicherarrangements versehen und nicht zuletzt ist auch der Sound deutlich professioneller ausgefallen, ohne die DIY-Atmosphäre, die dem Ganzen zugrunde liegt, zu zerstören. „A.R.3“ ist das wohl rockigste der Machines-Alben, interessanterweise auch eines der Ersten seiner Art, das auch mit einer rudimentären Rhythmusmaschine experimentierte. Und es müßte schon ein enormer Zufall im Spiel sein, wenn David Gilmour vor ‚Run Like Hell‘ nie ‚Tarzans Abenteuer im Sommerschlussverkauf‘ und ’10 Jahre lebenslänglich‘ gehört haben sollte. Dafür gibt’s mit ‚Die Eigentümer der Welt‘ auch eine folklastige Akustikgitarrennummer, die schon ein wenig in Richtung Reichels späterer Experimente mit Shanties und Volksliedern im Blues- und Rock-Gewand wies.

Für Einsteiger wohl das zugänglichste Album ist „A.R.4“, das dem Thema (der Reise eines Wassertropfens) gemäß einen relativ entspannten, natürlichen Fluß und einen wieder relativ minimalistischen Sound hat. Hiermit dürften sogar Fans der späten Pink/frühen Virgin Years von Tangerine Dream ihren Spaß haben. In die selbe Kerbe, vielleicht sogar noch entspannter, auf jeden Fall noch melodischer, schlägt „Autovision“: Achim Reichel hatte Transzendentale Meditation für sich entdeckt und war hörbar mit sich und der Welt im Reinen. Das Livealbum „Erholung“ beendete schließlich das Kapitel „A.R. & Machines“ für die nächsten Jahre und zeigte, daß auch die Bandimprovisation über die rigiden Echo-Strukturen nicht nur möglich, sondern auch außerhalb von Rauschzuständen genießbar war. Heute ist das gar keine Sache mehr, jedes zweite Improv-Projekt nutzt Sequencer, damals – wie das komplette Projekt – im eigentlichen Wortsinn höchst innovativ.

Dazu kommen gleich vier Bonus-CDs und einige auf die regulären Alben verteilte Bonustracks. Am Interessantesten dabei das „Cologne Concert“, ein Radiomischnitt zweier Live-Improvisationen – eine 36, die andere 41 Minuten lang. Die zweite Bonus Disc sammelt Reichels erste Versuche, das Material Mitte der 1990er zeitgemäß aufzubereiten, die dritte sammelt Fragment aus den Siebzigern, die dann auf der vierten und letzten Bonus-CD unter dem Titel „Virtual Journey“ mit modernen Remix-Mitteln in musikalische Form gebracht wurden. Leider fehlt den neueren Aufnahmen ein wenig das anarchisch-neugierige Element, das die Originale auszeichnete – beileibe keine schlechte Musik, aber eben weit perfekter, weniger kantig und weniger mitreißend.

Eigentlich sollten alle Freunde experimentellen Krautrocks diese unentdeckten Schätzchen also sofort in ihre Sammlung aufnehmen. Schade ist lediglich, daß einmal mehr die ganze Geschichte nur als teures Box-Set erhältlich ist. Der Preis von knapp 120€ ist zwar dem Inhalt grundsätzlich noch einigermaßen angemessen – obwohl bespielsweise die vorbildlichen Boxsets von King Crimson fürs gleiche Geld mehr als doppelt soviel Material plus jede Menge Gimmicks wie Surround-Mixes, DVDs und BluRays bieten. Wirklich unfein ist diese Veröffentlichungspolitik eben hauptsächlich, weil auch der Fan die Box kaufen muss, der beispielsweise nur am aktuellen „Virtual Journey“-Album interessiert ist oder dem eine CD-Fassung von „Echo“ ausreichen würde. Aber, wie im Falle Pink Floyd und einigen anderen Kandidaten wird auch hier der kaufkräftige Ü50-Hardcore-Progfan wieder ohne langes Nachdenken zuschlagen. Wahrscheinlich gilt hier auch die Theorie, über die der Verfasser dieser Zeilen kürzlich in einem Fanforum gestolpert ist: Hartz IV-Empfänger hören ja eh nur Helene Fischer. Hrmpf. Da fragt sich die Musikwelt, warum sie in der Krise steckt…

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